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medienbeobachtungen

Dienstag, 7. Juni 2011

Großes Geschütz, keine Munition: Spiegel.de attackiert Daniel Bahr

Nicht mal einen Monat ist er im Amt, da gerät Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) auch schon unter Beschuss.

"Bahrs Ehec-Krisenmanagement: Verseucht, verheddert, vermurkst", titelt Spiegel Online. Eine heftige Anklage, die Florian Gathmann und Anna Reimann da erheben.

Sie schreiben: "Die Nation fragt sich: Was können wir noch essen?" Und dann wird Bahr plötzlich überraschend freigesprochen: "Natürlich hat Bahr darauf keine Antwort, das wäre auch zu viel verlangt von ihm." Es dränge sich aber ein "Gefühl" auf, dass der Politiker ein bisschen überfordert sei. Ein Gefühl. Damit das eigene Gefühl nicht gänzlich alleine steht, werden ein paar Stimmen aus der Opposition zitiert.

Das ist alles. So wenig reicht, um sehr promienent auf der bedeutendsten deutschen Online-Nachrichtenseite einen Politiker hart angehen zu können, so als habe er die katastrohalsten Fehlentscheidungen seiner Karriere getroffen. Das ist kein kritischer Journalismus, sondern Gier nach Aufmerksamkeit, deren Aufhänger selbst konstruiert sind.

Dienstag, 31. Mai 2011

Der Edelfeder-Exodus beim stern

Christoph Reuter, der einzige deutsche Korrespondent in Afghanistan, verlässt das Land - und seinen Arbeitgeber den stern. Reuter wechelt zum Spiegel. Das ist keine Überraschung. Es scheint ein Trend zu sein.

Alleine in der jüngsten Zeit wechselten auch Alexander Kühn und Markus Grill vom stern zum Spiegel. Und jetzt Christoph Reuter. Im Gegenzug kenne ich keinen Spiegel-Redakteur, der jüngst zum stern gewechselt ist.

Warum? Die verkaufte Auflage des sterns ist zwar stärker eingebrochen als die des Spiegels, aber immer noch hoch - 863.000 Exemplaren im ersten Quartel 2011 (Spiegel: 967.000). Und die stern-Titel waren immer schon schlimm - Diäten, Psychologie und Rückenschmerzen. Woran liegt es dann? Vielleicht am Ruf des Spiegels. Vielleicht an der Ahnung, dass langfristig nur eins der großen Magazine überleben wird. Vielleicht, weil die Antwort des Spiegels auf die digitale Ära mehr Recherche und vermehrt sehr lange Stücke sind.

Das krasseste Beispiel ist "Der Bankraub" gewesen, ein 138.000-Zeichen-Stück, 40 A4-Seiten. Die Rekonstruktion des Enstehens der Wirtschaftskrise erhielt den berühmtesten Journalistenpreis, den Henri-Nannen-Preis. Es war einer von acht Nannen-Preisen, die der Spiegel in den letzten sieben Jahren erhielt. Neun Nannen-Preise, wenn man René Pfisters aberkannten mitzählt.

Der stern bekam in den Jahren nur einmal den Nannen-Preis. Dabei beherrschen auch stern-Journalisten die große Form, wie sie im Report "Todesflug AF-447" souverän gezeigt haben. Es ist aber aber leider eine seltene Ausnahme. Es gibt zu wenige gute Reportagen im stern. Oder anders gesagt: Die guten Reporter bekommen zu wenig Platz im Heft.

Ich fragte Christoph Reuter einmal, ob er plane, etwas über die Hinterbliebenen des Tanklaster-Angriffes in Kunduz zu machen. Zuvor hatte er ein Online-Stück über Entschädigungszahlungen geschrieben. Reuter sagte dazu: "Nochmal eine Geschichte zu den Hinterbliebenen ... hätte bei uns leider keinen so recht interessiert."

Freitag, 27. Mai 2011

Ein Feuilleton im besten Sinne

... doch oft gibt es so etwas leider (mehr) nicht in der Presse. Es erfordert fast schon Mut, so etwas in online-dominierten Nutzwert-Zeiten zu bringen (online wüsste man gar nicht wohin damit). Doch der wahre Wert lässt sich gar nicht hoch genug abschätzen. Denn dieses kleine Feuilleton ist auch ein Plädoyer für die Muse, die Ruhe, den kleinen schönen Gedanken und die Kunst

Leben bringt er, Tod und allgemeine Bewegung: der Wind
Süddeutsche Zeitung, 27. Mai 2011

Mittwoch, 23. Februar 2011

Wie Meldungen in die Presse geraten, die Menschen in ihrer Würde verletzen

Am 8. Februar, es war ein Dienstag, hatte ich Frühdienst in der Online-Redaktion der Frankfurter Rundschau. Ich war für die Platzierung der Top-Themen verantwortlich. Eine der Meldungen des Morgens war, dass die aus der Takelage der Gorch Fock tödlich abgestürzte Kadettin Sarah Seele angeblich starkes Übergewicht hatte. Die Bild-Zeitung hatte darüber berichtet und aus dem Obduktionsbericht zitiert.

Mir behagte die Meldung nicht. Ich fand, sie griff die Würde der Toten an. Ich ignorierte die Meldung erst einmal und lies sie etwas versteckt im Ressort. Später wies mich ein Kollege darauf hin, dass wir die Meldung prominent hoch ziehen müssten - wie viele andere Nachrichtenseiten. Die Bild zitiert immerhin aus dem offiziellen Obduktionsbericht, dachte ich mir, Bild-Redakteure sind zwar nicht für ihre hohe Moral bekannt, aber sie werden sich die Meldung nicht ausgedacht haben. Ich zog die Meldung hoch, achtete aber darauf, dass nirgendwo von "dick" oder "fett" die Rede war und verwendete im Titel den Begriff "offenbar dienstunttauglich".

Zwei Tage später stellte sich heraus, dass die Bild-Redakteure doch nicht ganz so sorgfältig recherchiert hatten. Für den Rücktransport war die Leiche der Frau mit 20 Kilo Formaldehyd präpariert worden, weil es im Flugzeug keine Kühlanlage gab. Das Transportgewicht tauchte in einem Bericht später als Körpergewicht auf. Die Bild zitierte die falsche Angabe.

Ich habe davon erst heute durch einen Bericht im aktuellen Spiegel erfahren, in dem der Freund von Sarah Seele, Daniel Wagner, ebenfalls bei der Marine, seine Partnerin rehabilitiert. Die Geschichte zeigt also auch, wie schnell sich gehässige Nachrichten verbreiten, wie schwerfällig jedoch die Richtigstellungen.

Vielmehr als die Sensationsgier der Bild-Zeitung, die die Macht gehabt hätte, die Meldung nicht in Umlauf zu bringen, frage ich mich allerdings, wer Seeles Bericht überhaupt an die Bild weitergereicht hat? Irgendwer muss es getan haben. Vielleicht jemand von der Bundeswehr, vielleicht ein Mediziner, vielleicht jemand von der Staatsanwaltschaft. Ich, und da bin ich nicht der Einzige, rege mich oft darüber auf, dass plötzlich die Presse wie verrückt über Fälle wie Käßmann oder Kachelmann berichtet. Ist jedoch so eine Meldung einmal in der Welt, ist sie nicht mehr aufzuhalten. Dann schimpfen alle über die böse Presse. Niemand schimpft aber über denjenigen (oft kann es nur ein Staatsdiener sein), der die Meldung an die Bild-Zeitung weitergereicht hat. Das nur am Rande.

Am Ende des Spiegel-Berichtes steht: "Nach Sarah Seeles Tod beklagte der 'Gorch Fock'-Kommandant Schatz, dass die motorischen Fähigkeiten der Kadetten abgenommen hätten: 'Die Jugend sitzt nicht mehr im Kirschbaum, sondern eher vor dem Computer.'" Die Süddeutsche Zeitung war sogar ganz verliebt in dieses Zitat und hat es mehr oder minder in jeden Artikel zum Thema geschrieben. Der Freund von Sarah Seele zeigte dem Spiegel ein Foto, dass sie in einem Hochseilgarten zeigt. „Sie war ein Kirschbaumkind“, beteuert er. Der Kommandant kannte Sarah nicht, sagt Wagner.

Dienstag, 22. Februar 2011

Tomatensauce und kaputte Bilderrahmen

Fragwürdige Relevanz eines Augenzeugenberichtes vom Erdbeben in Neuseeland

Augenzeugenberichte sind eine Urform des Journalismus. Unter anderem in der Frankfurter Rundschau und in den Stuttgarter Nachrichten ist nun ein Augenzeugenbericht aus dem neuseeländischen Christchurch erschienen, wo zumindest 65 Menschen bei einem Erdbeben ums Leben kamen.

In der Regel sind Augenzeugen Informanten für Journalisten, gute Augenzeugenberichte können auch für sich alleine stehen. Der Augenzeugen-Bericht in der Frankfurter Rundschau und den Stuttgarter Nachrichten wurde gar von einer Journalistin geschrieben. Sissi Stein-Abel arbeitet als Korrespondentin in Neuseeland für deutsche Zeitungen. 13 listet sie auf ihrer Website auf, auf der auch zu lesen ist, dass sie die Deutsche Journalistenschule besucht hat. Das hat mich überrascht.

Der Bericht von Stein-Abel ist keine Reportage und vermittelt nicht das Ausmaß der Tragödie. Der Bericht lässt den Leser, man könnte fast sagen: im Behaglichen. So heißt es: "Schnell die an der Wand baumelnden Bilder abhängen, die noch nicht in tausend Scherben auf den Boden gekracht sind, damit sie beim nächsten Rumpler nicht durch den Raum fliegen und noch mehr Schaden anrichten. Es lebe der alte deutsche Kleiderschrank, er steht unverrückt wie eine Eiche." Im begehbaren Speiseschrank stapeln sich gar "die Vorräte – garniert mit Tomatensauce und Glasscherben – einen halben Meter hoch". Und am Ende wird es fast schon romantisch mit "Nachbeben bei Kerzenschein".

Zwischendurch hat sich die Autorin draußen ein wenig umgeschaut und eingestürzte Kirchen und mit dem Schrecken davongekommene Menschen gesehen. Von den Toten hingegen ist in dem Text nichts zu lesen. Bei den Stuttgarter Nachrichten wurden sie zumindest noch hineinredigiert.

Nachtrag 24. Februar: Nun aber. FR-Autorin Sissi Stein-Abel streift durch das zerstörte Christchurch und spricht mit Überlebenden, Rettungskräften und Polizisten. Schönes Stück.

Freitag, 28. Januar 2011

Britische Banalitäten

Der ehemalige Guardian-Redakteur Tim Radford hat 25 Gebote, ja sie heißen wirklich so, über das journalistische Schreiben formuliert. Leider sind es nur Selbstverständlichkeiten, die ein bisschen besserwisserisch rüberkommen. Wollte das gerade als Kommentar schreiben, aber die Kommentarfunktion ist geschlossen. Passt nicht so richtig zu solch einem Text. Naja, dann zitiere ich noch mal Radford: "And here is another thing to remember every time you sit down at the keyboard: a little sign that says 'Nobody has to read this crap.'"

kik: Menschen-Ausbeutung mit System


Foto: ARD

Die Billigmodekette kik kennt fast jeder, wenige jedoch die Menschen, welche die unfassbar günstige Kleidung nähen. Frauen in Bangladesh, die unter gefängnisähnlichen Bedingungen arbeiten und so wenig verdienen, dass sie nicht einmal einen Arzt für todkranke Verwandte bezahlen können.

Doch auch die deutschen Verkäuferinnen arbeiten, nach deutschen Maßstäben, zu unwürdigen Bedingungen. Da wird schon einmal sechs Winter lang die Heizung nicht repariert oder eine ganze Belegschaft gefeuert, weil sie eine Gewerkschaft gründen will.

Die ARD Panorama-Redaktion hat das System kik in einem beeindruckenden Beitrag verdichtet, den man sich online ansehen kann.

Auszeichnungen & Presenter-Methode

Der Panorama-Beitrag wurde mit dem 2. Platz des Otto-Brenner-Preises ausgezeichnet. Presenter Christoph Lütgert wurde nun für den Beitrag zudem von dem Magazin Wirtschaftsjournalist zum Wirtschaftsjournalisten des Jahres gewählt. Die Arbeit seiner Kollegen Dietmar Schiffermüller, Sabine Puls, Britta von der Heide und Kristopher Sell muss aber genauso gewürdigt werden. Vielleicht sollte man zumindest bei Presenter-Reportagen alle Redakteure mal kurz vor der Kamera zeigen. Das Panorama-Team hätte es für diesen starken Beitrag sehr verdient.

Montag, 10. Januar 2011

Zu viel Ruhm für die Amokläufer

Wieso läuft dieser Amoklauf in den USA mit sechs Toten eigentlich so prominent? Weil er in den USA passierte? Weil der Täter einer Kongressabgeordneten in den Kopf schoss? Spiegel Online zeigt übergroß die Fratze des Täters. Wie ein Denkmal. Ruhm und Ehre für den Täter. Negativ aber umfassend. Auch andere Onlineseiten fahren das Thema groß. Gab es nicht mal die Kritik, dass mediale "Huldigung" von Tätern potentielle neue Täter anregt? Vor allem wenn sie so gewaltig ausfällt. Bringt es überhaupt noch etwas über die Motive von Amokläufern in den Medien nachzudenken? Es würde reichen, nur der Opfer zu gedenken und die Täter mit ein paar Sätzen abzuhandeln.

Freitag, 24. Dezember 2010

Eßlinger Zeitung bringt etwas durcheinander

Nicht nur Weihnachten kommt immer völlig überraschend. Wer findet den Fehler auf der Titelseite der Weihnachtsausgabe der Eßlinger Zeitung? Ich jedenfalls wünsche meinen Leser ganz klassisch ein fröhliches Weihnachten und einen guten Rutsch!



Foto: Ulrich Goll

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Reise-Ressort der SZ überrascht (2)

Die SZ überrascht erneut mit einem Reise-Aufmacher. Großes Foto über die ganze obere Seitenhälfte, ein Taxi in der New Yorker Nacht. Kann man sich als Poster aufhängen. Titel: "Freunde der Nacht - Acht Städte im Taxi: Wer einen fremden Ort erleben will, muss nur einsteigen. Und einen guten Fahrer haben." Es folgen kurze Texte aus Shanghai, Kalkutta, Hamburg, Bratislava, Cairns, Caracas, Jinka, Damaskus. Schöne Idee.

Zuletzt überrascht worden war ich von einem Reise-Stück über New Yorker U-Bahnen. Das Auto-Ressort überraschte mit einem Portrait über einen außergewöhnlichen Motorradtuner aus Los Angeles.

Eigentlich erwarte ich im Reise-Teil einer Zeitung keine guten Texte. Kein Wunder, wo doch kaum noch eine Tageszeitung eine eigene Reise-Redaktion hat. Alles outgesourct oder zumindest kaputtgespart. Insofern bin ich immer wieder überrascht, doch Mal einen richtig schönen Text in der Reise, oder eben auch im Auto-Ressort, zu lesen. Auch als Journalist bekomme ich in solchen Momenten durchaus Lust, doch mal einen Text für ein Reise-Ressort zu schreiben.


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Danke
Vielen Dank für diese Sätze: "Es sollte eine sehr gute...
Johanna (Gast) - 2013-12-05 10:34
Gut analysiert. Nur bei...
Gut analysiert. Nur bei der politischen Ausrichtung...
7an - 2013-10-10 15:08
Kein Interesse
Nur eine kurze Anmerkung. Journalisten denken von ihrem...
Otto Hildebrandt (Gast) - 2013-10-10 14:08

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