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Dezembernacht

Es war in einer kalten Dezembernacht. Eigentlich war es vorhin, doch ich liebe diese nostalgische Art zu schreiben. Ich saß also draußen auf dem Balkon. Warm angezogen. Eine Petroleumlampe auf dem Tisch, ein Glas Rotwein in der Hand. In der anderen ein Buch. Durch die kühle Luft bewunderte ich den tiefblauen Sternenhimmel, der ein einziges Gemälde war. Ich mochte die Welt so ruhig. So still wie ein schlafender Hund, an dessen senkende und hebende Brust man sich legen kann. So saß ich da und las Wolfgang Büscher. Ein Journalist Mitte 50, der von Berlin nach Moskau gegangen ist - zu Fuß. Er prägte mich die Tage ziemlich. Der Geist des Reisens hatte mich endlich erreicht. Manche mögen glauben, ein Studium fern der Heimat mache einen Menschen erwachsen, lasse einen reifen. Ich sage, nur das Reisen schafft es wirklich. Ich bin noch nie wirklich gereist. Es wird bald Zeit. Doch erst einmal las ich die ersten Zeilen des Buches.

Eines Nachts, als der Sommer am tiefsten war, zog ich die Tür hinter mir zu und ging los, so geradeaus wie möglich nach Osten. Berlin war ganz still an diesem frühen Morgen. Alles, was ich hörte, war das Pochen der eigenen Schritte auf den Dielen, dann auf Granit. Eine Süße lag in der Luft, das waren die Linden, und Berlin lag wach, aber es hörte mich nicht. Es lag wach wie immer und wartete wie immer und hing wirren, gewaltigen Träumen nach, die aufblitzten wie das Wetterleuchten dort über dem Häusermassiv. Es hatte geregnet die Nacht, ein Bus führ vorüber, seine Rücklichter zogen rote Spuren über den nassen Asphalt. Verkehr kam auf, in den Alleen schrien die Vögel, zitternd sprang die Stadt an, bald würden Angestellte in breiter Formation in ihre Büros fahren. Damit hatte ich nichts mehr zu tun.

Während ich die ersten 15 Seiten las, fielen drei Sternschnuppen vom Himmel. Ich wünschte mir - in der Reihenfolge - Glück mit den Frauen, Glück mit dem Reisen und gewaltiges Glück für Menschen, die in vorwiegend Dritte Welt-Ländern von Folter und Tod bedroht sind. Ich schaute in die Nacht und die Nacht schaute wie ein alter Großvater mit weisen Augen zurück.
Matthias Gerhards - 2006-12-18 07:42

Ein schöner Text. Ich mag deine Art, die Dinge ernst zu nehmen.

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