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Freitag, 9. Dezember 2011

taz erfindet Audio-Slideshow neu



Die taz etabliert gerade in Deutschland das Format der Audio-Slideshow. Bisher gab es kaum welche und die wenigen waren oft ein bisschen langweilig. In Kooperation mit 2470media überzeugt die taz nun mit wahnsinnig guten Portraits von Berlinern. Jede Woche eins. 52 Wochen lang. Die "Berlin Folgen".

taz-Redakteure machen die journalistische Arbeit, 2470media Fotos, Videos und Produktion. 2470media hatte zuletzt mit eigenen Audio-Slideshows den Deutschen Reporterpreis (Web) und den Axel-Springerpreis (Web) gewonnen, doch wenn auch technisch brillant, so überzeugen mich die Dramaturgie ihrer eigenen Stücke nie. Man merkt einfach, dass sie Fotografen und Producer sind, aber keine Journalisten. Mit der Arbeit der taz kommt in den "Berlin Folgen" nun auch noch die journalistische Professionalität dazu. Das Ergebnis ist beeindruckend. Man wird förmlich inspiriert.

Mit persönlich haben besonders "Die Countrysängerin" und "Die Cineasten" gefallen. "Der Obdachlose", der für den Deutschen Reporterpreis nominiert war, ist wahnsinnig stark, sogar weitaus stärker als der dazugehörige taz-Artikel von Plutonia Plarre (was selten ist), die die meisten der "Berlin Folgen" redaktionell verantwortet. Alleine die Stimme des Obdachlosen Gero ist eine Wucht. Und dann sagt er Sätze, die von Tom Kummer stammen könnten. Sätze wie: "Assis wie ich haben kein frei." Oder: "Ich stehe nicht auf, ich stürze ins Kotzen." Die taz hat die Audio-Slideshows neu erfunden.

Donnerstag, 10. November 2011

Hi, Franc Tausch hier

Zu spät! Schon wieder nicht aufgepasst.

"HI, FRANC TAUSCH HIER!"

Und dann erzählt der Franc, der früher Frank hieß, dabei wollte ich nur einen Filmtrailer sehen.

Franc Tausch, Schauspieler (zwei Serienfolgen), Synchronsprecher ("Freitag der 13. - Jason lebt" und "Die Todeskralle schlägt wieder zu") anscheinend arbeitsloser Radiomoderator in Los Angeles und selbsternannter Filmkritiker, hat eine perfide Methode entwickelt um sein nichts-ahnendes Publikum zu überrumpeln.

Tausch nimmt einen aktuellen Filmtrailer, bastelt eine überflüssige Paar-Sekunden Zusammenfassung davor und stellt den Clip auf YouTube. Unter dem Namen des Filmes plus "Trailer". So wird der Eindruck erweckt, es handele sich ausschließlich um den offiziellen Trailer. Den kleinen Hinweis "Hochgeladen von FilmKritikTV" übersehe ich regelmäßig. Auch weil Tauschs Trailer oft ganz oben stehen. Vermutlich wegen seiner 112.108 Abonnenten.

Und dann erscheint der Franc/k plötzlich wieder mit diesem leicht grenzwertig freudigem Gesicht und den müden Augen. Er reißt seinen Mund so weit auf wie eine Manga-Figur, als hätte er auf einen Startschuss gewartet, japst er noch mal schnell nach Luft und stößt sein "HI, FRANC TAUSCH HIER von FilmKritikTV" - als fürchte er um jeden Sekundenbruchteil, der ihm genommen werden könnte. (Remix-Kostprobe hier)

15 Minuten Ruhm habe jeder in seinem Leben, sagte Warhol. Tausch hat jetzt 357 Trailer besprochen, mit meist 30 Sekunden Vorwort. Das sind drei Stunden "HI, FRANC TAUSCH HIER". Warhol hätte das nicht lustig gefunden.

Die Kommentare zu diesem Beitrag befinden sich hier.

Montag, 7. November 2011

Leutheusser-Schnarrenberger: "Frage ist ist nur, wie ein Leistungsschutzrecht aussieht"

Heute begann der Bundesverbandstag 2011 des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) in Würzburg. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger besuchte das Treffen für zwei Stunden – eine Stunde davon stellte sie sich Fragen der Journalisten.

Bernd Lammel, der Vorsitzende des DJV Berlin-Brandenburg, stellte meiner Meinung nach die interessanteste Frage „Wie kann es sein, dass Sie für ein Leistungsschutzrecht stehen? Verleger stellen oft Print-Texte ihrer freien Autoren online, ohne dafür extra zu zahlen und nun sollen die Verlage durch ein Leistungsschutzrecht noch mehr Geld mit diesen Texten verdienen. Die Verlage brauchen kein Leistungsschutzrecht, sie haben mit dem Urhebergesetz alle Möglichkeiten gegen Verstöße vorzugehen.“ Leutheusser-Schnarrenberger sagte, es gehe nicht um das Leistungsrecht als solches, sondern wie es im Detail aussehe.

Steht wirklich nur noch zur Debatte, wie ein Leistungsschutzrecht aussehen könnte? Und selbst wenn es denn käme: Wer glaubt daran, dass die Verlage, dann die mehrfache Nutzung der Texte ihrer Autoren honorieren? Mir scheint eher, die Verlage wollen abgreifen was geht und so wenig zahlen wie möglich. Ein Leistungsschutzrecht wird die Sache für Journalisten nicht besser machen. Viele Politiker, darunter auch Leutheusser-Schnarrenberger, scheinen indes ein Leistungsschutzrecht per se gar nicht mehr in Frage zu stellen. Der DJV-Vorsitzende Michael Konken übrigens auch nicht.

Sonntag, 6. November 2011

arte: Produktionsabfall fürs Internet

arte produziert aufwändige Dokufilme, doch die Gebühren zahlenden Internet-Nutzer sehen davon nichts - oder nur die Ausschussware.

arte hat diese großartige sechsteilige Serie über den Widerstand im Dritten Reich produziert: „Schattenkampf – Europas Resistance gegen die Nazis“. Leider konnte man sich die Auftaktfolge zum Sendebeginn nicht online ansehen, ich habe sie jedenfalls nicht gefunden. Ich verstand auch nicht, dass in dem Online-Spezial schattenkampf.arte.tv (dass am ersten Tag eh nicht lief) nicht die Dokufilme zu sehen sind, sondern "nur" Dutzende nach Ländern sortierte Videos, in denen ehemalige Widerstandskämpfer ihre Geschichten erzählen.

Normalerweise stehen ausgewählte arte-Beiträge sieben Tage lang online. Ich habe es verpasst, mir während der Zeit die Beiträge anzusehen. Wenn sie überhaupt online standen. Wer weiß. Mit dem Gesetz kann der Sender sich nicht herausreden. Der Rundfunkgebührenstaatsvertrag erlaubt es, solche hochwertigen zeitgeschichtlichen Beiträge dauerhaft online zu stellen, wie es zum Beispiel mit der ZDF-Historien-Reihe „Die Deutschen“ geschehen ist.

arte hingegen möchte lieber Kasse machen. Im eigenen Online-Shop kann drei DVDs mit den sechs Filmen für 40 Euro kaufen, auf Amazon für 32 Euro. Aber, ganz ehrlich, soviel wie vier Kino-Besuche sind mir die Beiträge nicht Wert. Ich würde sei gerne sehen und gerne für sie zahlen, sagen wir 1,50 Euro pro Folge als Online-Stream – wenn arte denn ein Privatsender wäre. Doch arte ist Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der Sender bekommt Rundfunkgebühren. Ich möchte nicht wissen, wie viele tausend Euro alleine die zwei Webseiten zur Dokoserie gekostet haben, auf denen die Gebührenzahler nicht mal die sechs Haupt-Beiträge sehen können, für die der ganze Zauber veranstaltet wurde.

Stattdessen gibt es das Schattenkampf-Spezial. Auf den ersten Blick macht es Eindruck. 84 Videos. Zeitzeugen, die über den Widerstand erzählen, sortiert nach Ländern. Leider weiß man nicht, wie lang die Beiträge sind. Sechs Minuten oder 60? Eine Zeitleiste wurde vergessen. Davon abgesehen: Wer will sich 84 Videos mit Leuten ansehen, die nur erzählen? Das ist ein bisschen einseitig. Ich möchte einfach die sechs Dokufilme sehen und Punkt. Die aber bleiben den Online-Nutzern vorenthalten. Pech für die, die die Folgen im Fernsehen verpasst haben, kein arte empfangen oder keinen Fernseher haben. Und das ist mal wieder eine typische medienkonservative Online-Strategie: Ins Internet kommt der Ausschuss, der, böse gesagt, Produktionsabfall. Das muss für die Gebühren zahlenden Online-Nutzer reichen.

Montag, 10. Oktober 2011

Ein Ort der Identifikation

Gebäude der Zeitenspiegel-Reportageschule in Reutlingen.Die Zeitenspiegel-Reportageschule Günter Dahl besaß bislang nur einen Klassenraum in der Volkshochschule Reutlingen. Nun hat sie zum Start des 7. Jahrgangs ihr eigenes Gebäude bezogen.

Bislang gehörte selbst der eine Klassenraum der Reportageschule nicht ihr allein. Am frühen Abend wurde er für VHS-Kurse benutzt. Schüler, die dann noch dort waren und schrieben, mussten weichen. Nun ist die Reportageschule nicht länger nur eine Gemeinschaft, sondern auch ein Ort - ein geschützter Raum für Ankömmlinge, Aufbrechende und Rückkehrer. Es soll sogar Gästezimmer geben.

Donnerstag, 6. Oktober 2011

Jobs-Nachrufe gedenken nur Erfinder

Steve Jobs ist tot, doch nur wenige Nachrichtenseiten trauern um den Menschen, sondern um den Apple-Chef - mit einer Ausnahme.

Tom Hillenbrand beginnt seinen Nachruf auf Spiegel Online mit dem Satz: "Nun zählen wir noch einmal auf, was er alles geschaffen hat: iMac, iPhone, iPad."

Auf faz.net schreibt Stephan Finsterbusch: "Steve Jobs hat die Art und Weise, wie Menschen mit Computern, mit Technologie und mit Informationen umgehen, von Grund auf geändert."

"'Design – manche denken, es beschreibt, wie etwas aussieht. Es geht aber darum, wie etwas funktioniert', fasste Steve Jobs einst seine Devise zusammen, von der er sich leiten liess, seit er mit Steve Wozniak und Ranald Wayne 1976 Apple gründete", schreibt Henning Steier auf NZZ online.

Fast alle kommen auch noch auf die berühmte Rede Jobs vor Stanford-Studenten 2005 zu sprechen, doch es geht dann wieder nur um den Schöpfungswillen und Arbeitsgeist von Jobs' - oder seine Philosophie. Auch Johannes Kuhn schreibt auf sueddeutsche.de darüber, aber er wird dem Menschen gerecht, bereits im ersten Satz: "Nur selten hat Steve Jobs in der Öffentlichkeit etwas von sich erzählt, von dem Menschen, der hinter den Macs, iPhones, iPads, hinter der Marke Apple steckte."

Dienstag, 20. September 2011

Die Presse und der Social Media-Krampf

Die Presse (eigentlich nur die Chefetage) ist ja schon lange heiß auf Social Media. Deshalb müssen schon lange alle Journalisten irgendwas mit Social Media machen - nur sich Zeit nehmen oder darüber nachdenken, dürfen sie nicht.

Das Medium Magazin hat nun als mutiger Vorreiter eine Journalisten-Werkstatt-Beilage über "Social Media" produziert, in der zum Beispiel über Facebook steht: "Sie reagieren auf Beiträge, indem Sie 'Gefällt mir' anklicken, kommentieren oder teilen, also den Beitrag 'weitersagen'." Genial. Vielleicht können Online-Redakteure, die pauschal "Was denkt ihr darüber" hinter jeden Post schreiben, davon noch was lernen. Wer wirklich etwas lernen möchte, guckt sich an, wie das ZEITmagazin Facebook benutzt.

Donnerstag, 15. September 2011

Warum ZDF-zoom das Presenter-Format nicht verstanden hat

Der Reporter als Presenter ist schwer in Mode. Wie man ihn falsch einsetzt, zeigt das seit Mai laufende Format ZDFzoom.

Heute lief in der Reihe "Die heimlichen Strippenzieher", ein Stück über die Arbeit von Lobbyisten. Das zentrale Element bei allen ZDFzoom-Beiträgen ist der Reporter als Presenter. Redaktionsleiter Christian Dezer erklärt im Blog zur Sendung:

Erzählen soll ein "handelnder Autor" - als Bindeglied zwischen Zuschauer und Thema. Der kann und soll seine Vorgehensweise, seine Recherche und seine Ergebnisse transparent und für den Zuschauer nachvollziehbar machen. Ein handelnder Autor kann das Publikum an die Hand nehmen oder zumindest seine Hand hilfreich ausstrecken, um durch oft vielschichtige und komplexe Themenbereiche zu führen.

Mein Eindruck: Die Reporterin Anna Grün drängt sich in dem nicht uninteressanten Beitrag wahnsinnig auf, ständig ist sie im Bild, nur um im Bild zu sein. Mit Bindeglied zum Thema hat das nichts zu tun. Ich habe nichts gegen das "Ich" in der Reportage und nichts per se gegen Presenter, bisher haben sie mich nie gestört, dieses Mal jedoch gewaltig.

Der ehemalige ARD-Chefreporter Christoph Lütgert hat auch als Presenter gearbeitet. Auf einer Finanz-Veranstaltung versuchte er, Carsten Maschmeyer zu konfrontieren, der mit seiner Finanzvertriebsgesellschaft AWD zahllose Kleinanleger über den Tisch gezogen hat. Auch KIK-Chefs, die mit der Ausbeutung von Menschen in Bangladesch Geld verdienen, hat Lütgert konfrontiert - im Fahrstuhl abgefangen. Das Format war in diesem Fall sinnvoll, weil es zeigte, wie die Verantwortlichen davonlaufen oder sich verstecken.

Bei ZDF Reporter benutzen sie auch das Presenter-Format. Mal arbeitet ein Reporter als Billiglöhner, um die Ausbeutung am eigenen Leib zu erfahren, mal testet er die Servicefreundlichkeit in Geschäften. In den Beiträgen war der Presenter sinnvoll.

Nicht in jedem Beitrag von ZDFzoom ist der Presenter unangebracht. In dem Stück "Der Preis der Liebe - Das Dilemma der Kinderbetreuung" erzählt die Reporterin von ihren eigenen Schwierigkeiten, eine Kinderbetreuerin zu finden. Man kann auch hier darüber streiten, dass die Reporterin sich selbst zur Protagonistin gemacht hat und sich keine gesucht hat, zumindest aber funktioniert es. Anders als in dem Beitrag über den norwegischen Amokläufer Breivik. Was interessiert mich, wie der Reporter im Flugzeug sitzt? Mich interessieren die Ergebnisse und nicht, ob seine Haare gut geföhnt sind. Der Beitrag "Arbeiten bis zum Umfallen - Volksleiden Burnout" beginnt in einem Hochseilpark. Die Reporterin hat Probleme damit, sich abgesichert fallen zu lassen. Man erfährt, dass sie leicht Burnout gefährdet ist. Es vermischt sich die Geschichte mit dem Geschichtenerzähler. Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, weil die Reporterin zu viel Stress mit der Burnout-Story hatte? Ich bin ein bisschen abgelenkt.

Bei dem Beitrag "Blutige Geschäfte - Auf den Spuren des Organhandels im Kosovo" trauert eine Frau trauert an einem Grab. Ihre Brüder wurden im Kosovo-Krieg verschleppt. Doch schon in Sekunde 13 sieht man den einen betroffenen schauenden Presenter-Reporter hinter einem Grabstein. Was hat er mit der Geschichte zu tun? Ich möchte die Geschichte der Frau hören, nicht die des Reporters. Danach sitzt er in einem schönen Café am Laptop und simuliert Recherche. Es fehl die Demut vor dem Thema und den Betroffenen.

Auch in dem Stück über Lobbyismus will mir nicht einleuchten, warum ich Anna Grün gefühlte 135 Mal in Nahaufnahme sehen muss, wenn sie einen Lobbyisten interviewt oder mit ihm eine Politikerin besucht. Da wäre es besser gewesen, in den Hintergrund zu treten, um nicht vom Thema abzulenken.

Das Presenterformat ist schon heikel genug, da es immer so aussieht, als hätte der Presenter die ganze Arbeit gemacht, die wahre Recherche erledigt aber in der Regel das Redaktionsteam im Hintergrund. Wenn ein Reporter schon so stark in den Vordergrund gestellt wird, sollte auch die Arbeit der Kollegen gezeigt werden oder der Presenter sagen, dass er die Information hat, weil sein Kollege Hans-Martin Müller acht Wochen lang recherchiert hat. In jedem Fall aber, muss es gerechtfertigt sein, dass der Reporter Teil der Geschichte wird.

Und noch etwas: Ein Presenter drängt sich dem Zuschauer auf, ob es sinnvoll ist oder nicht. Deswegen sollte er kein Internet-Gespenst sein. Zumindest die grobe Vita sollte im Netz stehen. Über Anna Grün hingegen findet man nichts.

Dienstag, 13. September 2011

Freie Jugend in Israel und Gaza

"Fuck Hamas. Fuck Israel. Fuck Fatah. Fuck UN. Fuck UNWRA. Fuck USA! We, the youth in Gaza, are so fed." Das sind Anfangsworte eines Manifestes der "Free Gaza Youth", das Anfang des Jahres den Weg in die Öffentlichkeit fand. Auch der Guardian berichtete. Ein paar Monate später gingen auch Israels auf die Straße. Zum ersten Mal in der Geschichte demonstriert sowohl die Jugend in Gaza als auch in Israel gegen Ungerechtigkeit und für ein besseres friedlicheres Leben, zu lange mussten sie wegen politischer Unruhen still sein.

In Israel demonstrieren die Menschen gegen Kapitalismus, die Verarmung der Mittelschichts, zu hohe Mieten und vieles mehr. Sie beklagen, dass nur wegen der Sicherheitspolitik das Land im Inneren so marode werden konnte, Ungerechtigkeiten zementiert wurden. Alleine die Zuwendungen für Ultraorthdoxe und Siedler belasten die Bürger in Israel schwer. Die Religiösen genießen ökonomischer Privilegien und eine Lebensweise, "von denen die produktive Klasse nur träumen kann", schreibt die israelisch Soziologin Eva Illouz in der ZEIT. Trotzdem versuchen die Demonstranten so unpolitisch wie möglich zu sein und vor allem bloß nicht die Palästinenserfrage aufzuwerfen, denn genau solche Debatten haben über Jahrzehnte alle anderen Fragen unterdrückt.

Hinter den Zäunen und Mauern in Gaza demonstriert die Jugend ebenfalls. Für ein Leben in Frieden und Freiheit. Von Israel werden sie bombardiert, von der Hamas unterdrückt. Nicht einmal offen demonstrieren können sie, nur über das Internet haben sie Kontakt in die Welt.

Was der Jugend in Gaza bleibt, ist die Flucht in den Sport: Breakdance, Skaten, Parkour, Wellenreiten. Der Reporter Carsten Stormer hat die Gaza-Jugend besucht und zwei bemerkenswerte Reportagen für Mare - die Zeitschrift der Meere und das Amnesty International Magazin geschrieben.

"Sie sind in Gaza gefangen, wo die Einwohner wenig spüren, selten genießen, wenig erleben. Ein Volk im Koma, das an der Gegenwart vorbei gleitet, und einer Jugend, die es satt hat, dass ihre Träume eingesperrt sind", schreibt Carsten in "Fliegen lernen". Er zitiert einen jungen Mann: „Wir haben dieses beschissene Leben satt. Israel hält uns gefangen, die Hamas schlägt uns, und der Rest der Welt interessiert sich nicht für uns“, sagt Abu Yazin und die Mädchen nicken.

Mittwoch, 7. September 2011

Midnight in Paris

Midnight in Paris ist ein wundervoller, selig machender Film - zumindest für Menschen mit einem Hauch Nostalgie. Ich selbst hatte Zweifel, bis ich den Film vorhin gesehen habe, aber diese Zweifel rührten vermutlich von dem Trailer, der so gut wie nichts von dem Kern des Films zeigt, sondern nur, wie wenig Lust der schriftstellernde Gil (Owen Wilson) auf die Aktivitäten seiner Verlobten, ihres Pseudo-Intellektuellen Bekannten und ihrer konservativen Eltern hat. Gil hingegen ist von seinen nächtlichen Trips angetan - die ihn ins Paris der 20er Jahre führen. Kein Traum, wie Regisseur Woody Allein zeigt, eher ein Märchen.

Gil trifft die ganze Künstler- und Literaten-Bagage des damaligen Paris: Hemingway, Dalí, Fitzgerald und viele mehr. Jeder, der nur einen Funken Sympathie für diese Gestalten hat, wird begeistert sein. Vielleicht ist Hemingway ein ganz klein bisschen zu klischeehaft geraten - oder war Hemingway nicht gerade so? Mich hat der Film jedenfalls überzeugt, er ist eine hinreißende Hommage an eine verlorene Epoche.

Zweifler wie Georg Diez schrieben im SPIEGEL der Film sei voller Klischees. Ulrich Greiner ist in der ZEIT schon weiter: "Nur der mittelmäßig begabte Künstler meidet das Klischee", schreibt er. "Der blutige Anfänger stürzt sich hinein und wird, weil er es nicht bemerkt, sein komisches Opfer. Der geniale Könner hingegen spielt mit dem Klischee." Diez bemängelt, man sehe keine schicksalslosen Migranten im heutigen Paris. Ich frage mich, ob er auch in tristen Banlieu-Filmen bemängelt, wenn man keine schönen Boulevards sieht. Diez schreibt, Allen benutze nur Abziehbilder, Klischees, aber gerade das ist das Hauptmotiv des Films - unser Denken in Klischees, und dass die alten Zeiten natürlich nicht so prachtvoll waren, wie wir glauben. Im Film wird das deutlich, wenn sich die Charaktere im Paris der 20er Jahre ins Belle Epoque am Ende des 19. Jahrhunderts wünschen, als die Welt noch nicht so turbulent gewesen sei.

Am Ende löst Allen alles ganz wundervoll auf. Was bleibt, ist die Erfahrung zumindest einmal auf der Leinwand gesehen zu haben, wie es wäre, ins Paris der 20er einzutauchen, einmal mit all den Legenden eine große Sause zu machen.

Wenn der Film schon vorbei ist, dauert es lange, bis man wieder in der Gegenwart angekommen ist. Selbst Berliner Hauptstraßen haben dann noch für etliche Minuten etwas Nostalgisches. Es gibt nicht viele Filme, die solch einen nachhaltigen Zauber besitzen.



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Danke
Vielen Dank für diese Sätze: "Es sollte eine sehr gute...
Johanna (Gast) - 2013-12-05 10:34
Gut analysiert. Nur bei...
Gut analysiert. Nur bei der politischen Ausrichtung...
7an - 2013-10-10 15:08
Kein Interesse
Nur eine kurze Anmerkung. Journalisten denken von ihrem...
Otto Hildebrandt (Gast) - 2013-10-10 14:08

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