header_neu

Sonntag, 26. August 2007

Das erste Mal Trampen

Regel: Man trampt nicht, um Geld zu sparen oder unter Garantie zu einem festbestimmten Ziel zu kommen, sondern um Freiheit zu erfahren, neue Orte und interessante Menschen kennenzulernen.

Wie sieht sowas aus? Ein Beispiel:

Letzte Woche war ich trampen. Ich habe darüber schon geschrieben, aber mehr über das drumherum, weniger das Trampen selbst. Das soll jetzt erfolgen.

Samstag morgen vor einer Woche bin ich auf aufgewacht und wusste: Heute ist es soweit. Ich wollte trampen. Getarnt habe ich es unter dem Vorwand, zu meinen Eltern reisen zu wollen, denn es gibt ja Sicherheit, wenn man ein festes Ziel hat und schon ein Bett auf einen wartet. Eigentlich wollte ich trampen. Das habe ich auch gemacht. Zum ersten Mal in meinem Leben.

Ich habe mir ein Pappschild gegriffen und in großen Lettern "Hannover" draufgepinselt und mich vor's Maritim in Darmstadt gestellt. Das ist nämlich die letzte Möglichkeit, wo Autos halten können, wenn sie auf die Autobahn wollen. Eine gute Freundin sagte mir, es sei immer am Schwersten aus einer Stadt hinauszukommen, am besten man fragt einen jungen Menschen an einer Tankstelle, ob dieser einen zur nächsten Autobahntankstelle mitnimmt. Das war mir aber zu blöd. Also stand ich da.

Es war 15 Uhr, heiß, die Sonne brannte. Ich trug, ein weißes kurzärmliges Hemd, Armeeshorts und Flip Flops - und mein Schild. Heißt: ich stellte, es neben mich vor meine Tasche. Dann setze ich mich hin und las im Spiegel. Ich war aber so aufgeregt, dass ich den ersten Satz 150 Mal las. Nach zehn Minuten hielt ein Auto. Ein Polo glaube ich. Junge Leute drin. Ich ging hin, aber es schien, als hätten sie nicht wegen mir angehalten. Hatten sie auch nicht. Aber auf Nachfrage nahmen sie mich trotzdem mit. Eigentlich wollte der Fahrer (Student) nur auf seine Schwester warten und mit einem Kumpel (auch Student) zu einer Hochzeit. Nette Typen. Bis auf die Schwerster. Die drehte sich später um und sagte: "Pass ja auf, wir sind zu dritt!", oder so etwas in der Art. Ich hätte fast gelacht.

Ich verließ Darmstadt. Juhu. Kurz vor Friedberg ließen sie mich auf einem Parkplatz raus, denn sie mussten die nächste Abfahrt runter. Toll. Da stand ich also - vielleicht 60 Kilometer weit gekommen - an einem kleinen Parkplatz, wo es außer einem Toilettenhäuschen nix gab. Ich ahnte Böses.

Nach fünfzehn Minuten hielt das nächste Auto. Ein netter Typ um die 40 nahm mich mit. Bis Melsungen wollte er. Das waren sicher 160 km (Alle Angaben vage geschätzt). Der Kerl war katholischer Pfarrer. Wir unterhielten uns super über französische Literatur und er erzählte mir von seinem Reisen nach Syrien sowie über Übersetzungsschwierigkeiten von alten und neue Sprachen.

An einem großen Autohof war er mich dann raus. Von da aus, sollte ich keine Schwierigkeiten haben, ein Auto zu finden, dachte ich mir, holte mir einen Imbiss und stellte mein Schild an den Straßenrand. Kein Auto hielt. Es dauerte eine Stunde. Es dauerte eineinhalb Stunden. Es dauerte zwei Stunden. Alles nur Familien mit Kindern in Bonzenkarren. Die nehmen einen natürlich nicht mit. Ich fühlte mich leicht aussätzig. Es wurde 19 Uhr.

Dann hielt endlich jemand. Ein junger Burscher. Jünger als ich. Servicemonteur für Eisenbahnen und so. Reist in der ganzen Welt herum für seinen Job. Indien, Paris, London. Menschen, die was von der Welt gesehen haben, Menschen, die ein bisschen Ahnung von der Welt da draußen haben und nicht nur 20 Jahre in ihrem Bürostuhl festkleben und glauben sie wüssten, wie das Leben läuft, nehmen einen immer mit. Reisende erkennen sich untereinander. Leider kam ich nur bis zum nächsten Rasthof. Kassel. Da musste er runter. Ich war optimistisch, sollte aber Unrecht behalten. Ich wartete wieder eineinhalb Stunden und irgendwann war es halbzehn und dunkel. Ich ging auf die Toilette und zog meine langen Klamotten an. Ich wartete weiter, aber es hielt kein Auto.

Nun ja, dann muss ich halt irgendwie nach Kassel rein - 10 km entfernt. Oder auf einer Wiese in der Nähe des Rasthofes pennen - ohne Schlafsack. Ich ging erst mal rein in die Tanke und fragte, wie ich nach Kassel kommen würde. Drinnen war ein Bursche und eine Frau um die 40. Sie sagte, sie würde Feierabend machen und ich könnte mit ihr mitkommen. Sie würde zum Bus gehen. Also gingen wir los. Zehn Minuten über dunkle Wege und einer Straße ohne Fußweg - hinein ins Industriegebiet. Die Frau war auch früher getrampt. Mit Freunden. Bis nach Korsika. Dann kam der Bus. Sie musste in die andere Richtung. Ich stieg ein und setzte mich neben drei Inder. Die arbeiteten auf dem Autohof neben der Tankstelle - seit 20 Jahren! Und sie waren gut gelaunt. Ich wusste nicht, ob ich Respekt oder Mitleid haben sollte.

Schließlich kam der Bus in Kassel an. Ich stieg in die Straßenbahn und fuhr zum Bahnhof Wilhelmshöhe, wo die Fernzüge fahren. Es war 23 Uhr und der Bahnhof war tot. Sorry, kein Zug mehr nach Hannover. Ich war in Kassel gestrandet.

Na und? Ich rief einen Kumpel an, er möge doch bitte für mich Couchsurfer in Kassel anschreiben, damit die sich bei mir melden. Aber da mir klar war, dass das eine gewagte Sache war, so spontan, laberte ich ein Mädel an, bei der ich ein gutes Gefühl hatte. "Hey, du kannst mir sicher helfen. Ich wollte nach Hannover trampen und bin hier gestrandet. Ich suche ne billige Absteige und ne Bar, wo ich feten kann." Sie konnte mir helfen. Schließlich landete ich da!.

Der Abend war recht lustig (siehe die letzten Unterwegs-Einträge). Am nächsten Morgen wollte ich dann aber per Mitfahrzentrale weiter, schloss mich aber spontan drei Typen aus Freiburg an, war mit ihnen auf der Documenta und schließlich haben sie mich für sieben Euro nach Hause gebracht, weil sie in meine Richtung fuhren. Spannende Menschen. Ebenfalls wie ich Literaturfreunde. Übernächste Woche besuche ich sie wohl mal in Freiburg. Da ist ihr nächstes literarisches Treffen. Thema: Nietzsches Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben.

Mein nächstes Ziel ist Wien (wobei ich die nächsten Fahrten wohl nicht trampen werde, da die Zeit zu eng ist und ich zu einer festen Zeit da sein möchte). In Wien habe ich (übers studivz) coole Typen aus einem Literaturzirkel kennengelernt. Und dann irgendwann möchte ich noch mal nach Frankreich trampen - Paris wahscheinlich. Und schließlich wird es Zeit, dass ich das erste Mal couchsurfe. Aber Paris wird schon ein großes Ding. Alleine, weil ich die Sprache nicht spreche und kaum ein Franzose Englisch. Es dürfte spannend werden.

Der Geist der Beatniks

Ich bin derzeit verrückt nach dem Geist der Beatgeneration. Auch unabhängig davon, dass jetzt Jack Kerouacs legendäres Manifest "On the road" 50 Jahre alt geworden ist. Aber wenn ich ehrlich bin: So wild ist das Buch nicht. Eigentlich ist das Buch copy und paste-Wahnsinn. Eigentlich kann man auch alle Kapitel rausreißen und neu anordnen. Okay, Kerouacs Kollege Burroughs hat das ja sogar bisweilen gemacht, wobei dieser sogar einzelne Seiten zerschnitten und zufällig neu angeordnet hat. Aber Kerouacs Buch ist auch so. Eigentlich ist es ein einziger Wahn. Keine Story, kein roter Faden und völlig irrsinnige Monologe. Man muss das Buch auch extrem schnell lesen, denn das Buch wirkt nur, wenn man in das Tempo des Buches eintaucht und sich an den Assoziationen berauscht. Die Sätze selber ergeben meist wenig Sinn.

Trotz allem: Das Lesen bringt es nicht!

Ich bin süchtig nach dem Geist der Beatniks, nicht nach ihren Werken. Spannender sind schon ihre Biografien, ihre Lebensläufe. Aber wahrhaft in diesen Geist eintauchen kann man nur, wenn man selber auf der Straße unterwegs ist. Wenn man selber alles auf sich zukommen lässt. On the road. Oder wie schrieb Kerouac doch selbst in "On the road":

Alle meine derzeitigen Freunde waren „Intellektuelle“ – Chad, der Nietzscheaner und Anthropologe, Carlo Marx mit seinen bekloppten surrealistischen, leisen, ernsten, irren Reden, Old Bull Lee und seine kritische Motzerei gegen alles und jedes -, oder sie waren heimliche Kriminelle wie Elmer Hassel mit seinem gelangweilten höhnischen Grinsen; genauso Jane Lee, die sich auf dem Orientteppich auf ihrer Couch wälzte und über den New Yorker die Nase rümpfte. Aber Deans Intelligenz war in jeder Hinsicht genauso geschult, brilliant und umfassend, nur ohne die öde Intellktualität. Und sein "Kriminalität" hatte nichts Schmollendes oder Spöttisches; sie war ein unbändiger, bejahender Ausbruch amerikanischer Lebenfreude; sie war der Westen selbst, der Westwind, eine Ode aus der Prärie, etwas Neues, lange Vorhergesagtes und lange Ersehntes (er knackte Autos nur zum Spaß für Spritztouren). Außerdem vertraten Alle meine New Yorker Freunde den negativen, alptraumhaften Standpunkt, das die Gesellschaft abzulehnen sei, und lieferten ihre müden, bücherschlauen oder politischen Gründe dafür, während Dean nur so durch die Gesellschaft raste, gierig nach Brot und nach Liebe; ihm war es egal, ob so oder anders, "solange ich nur an das nette Mädchen mit ihrem süßen Ding zwischen den Beinen rankomme, Mensch" und "solange wir was zu 'essen' haben, Mann, verstehst du mich? Ich bin 'hungrig', ich 'verhungere', lass uns 'sofort was essen'!" - und schon stürzten wir los und 'aßen', wie es, so spricht der Weise Salomo, "dein Teil ist unter der Sonne".

Ein westlicher Verwandter der Sonne - das war Dean. Obwohl meine Tante mich warnte, er würde mich in Schwierigkeiten bringen, hörter ich einen neuen Ruf und sah einen neuen Horizont und glaubte daran, jung wie ich war; und ein paar kleine Schwierigkeiten oder auch, dass Dean mich als Kumpel zurückstieß, mich hängenließ, wie er es später tun sollte, verhungernd am Straßenrand und auf dem Krankenbett - was machte das schon? Ich war ein junger Schriftsteller und wollte abheben. Irgendwo unterwegs, das wusste ich, gab es Mädchen, Visionen, alles; irgendwo auf dem Weg würde mir die Perle überreicht werden.


Neuester Kommentar

Danke
Vielen Dank für diese Sätze: "Es sollte eine sehr gute...
Johanna (Gast) - 2013-12-05 10:34
Gut analysiert. Nur bei...
Gut analysiert. Nur bei der politischen Ausrichtung...
7an - 2013-10-10 15:08
Kein Interesse
Nur eine kurze Anmerkung. Journalisten denken von ihrem...
Otto Hildebrandt (Gast) - 2013-10-10 14:08

Suche

 



arbeitsprozesse
das schreiben
der autor
der journalismus
digitale welt
diplomtagebuch
freie presse
fundsachen
gedanken
journalismus-studium
medienbeobachtungen
meinung
panorama
persönliches
poeten
reisenotizen
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren