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Freitag, 26. Oktober 2012

Geldregen für Online-News?

Facebook hat einen Weg gefunden, Geld zu verdienen und die deutschen Verlage sollten sich das genau ansehen.

Die Berliner Zeitung schreibt heute im Wirtschaftsaufmacher (leider nicht online): "Facebook setzte im vergangenen Quartal 150 Millionen Dollar im Bereich der mobilen Werbung um, also Anzeigen, die auf Smartphones und Tablets eingebledet werden. Das war eine Verdreifachung zu den geschätzten 50 Millionen Dollar, die Facebook im vorherigen Quartal verdiente."

Das Geschäft mit der "mobilen" Werbung wird das große Ding für die Verlage werden. Es könnte abseits von Paywalls die große Erlösquelle werden. Und auf verlagseigenen Apps gibt es nicht mal Werbeblocker. Jetzt müssten die Online-Nachrichtenseiten nur erstmal Apps haben.

Die Leser sind da, aber wo die News?

Wie große Teile der deutschen Presse die Zukunft des digitalen Nachrichten-Konsums verschlafen.

Seit kurzem habe ich ein Smartphone. Ein entscheidender Kaufgrund war, dass ich vorhabe, damit kurze Videos bzw. Interviews zu drehen (das Samsung S2 schafft Full HD) und als Zusatz zu meinen Artikeln zu verkaufen. Kein nennenswerter Kaufgrund war, unterwegs surfen zu können. Insofern bin ich überrasc
ht über mein Smartphone-Nutzungsverhalten. Nicht unterwegs, sondern zu Hause.

Am Computer lese ich schon lange so gut wie gar keine Online-Nachrichten mehr. Ich habe die Berliner Zeitung und die Süddeutsche Zeitung im Print abonniert, wichtige Fach-Neuigkeiten über die Medienbranche bekomme ich via Newsroom-Newsletter und vor allem durch eine sorgfältig und thematisch eng begrenzte Liste von Leuten, denen ich auf Twitter folge.

Es stresst mich, zu Hause bei der Arbeit oder privat Online-Nachrichten auf dem PC-Bildschirm zu lesen. Ich werde unruhig und verspannt. Bislang habe ich höchstens einmal am Tag für wenige Sekunden Spiegel Online geöffnet. Das war's. Jetzt schaue ich fast immer, wenn ich das Smartphone in die Hand nehme auf Spiegel Online.

Ich glaube, das liegt daran, dass der PC ein Lean-Vorward-Medium ist, ein Smartphone aber ein Lean-Back-Medium. Es ist entspannend, mit dem Smartphone zu surfen und zu lesen.

Verlorene Leser durch fehlende Apps

Spiegel Online lese ich auf dem Smartphone aber nur so oft, weil es eine App für die Seite gibt. Scheinbar ist sie überflüssig. Sie kann nicht viel mehr als die Browser-Version. Aber ich muss nicht erst meine Internet-App öffnen und spiegel.de eintippen oder in den Lesezeichen suchen. Das rote Spiegel Online-Icon prangt auf meiner Smartphone-Startseite und immer wenn ich das Ding in die Hand nehme, möchte ich irgendetwas damit machen. Das heißt, ich klicke auf: Instagram (nicht nur ein Filter-Tool, sondern auch spannendes soziales Foto-Netzwerk), Twitter, Xing, Spiegel Online, Facebook. Würde es keine App für Spiegel Online geben, würde ich die Seite mobil sehr viel seltener bis gar nicht ansteuern.

Ich war also ziemlich überrascht, als ich sah, dass es für ZEIT Online und Süddeutsche.de keine Apps für mein Smartphone gibt. Das Kurioseste dabei: Es gibt eine ZEIT Online App, aber nur für das Betriebssystem iOS, also nur für iPhones. Auf rund 40 Prozent aller Smartphones in Deutschland ist aber laut golem.de Android installiert. Das Apple-System kommt nur auf gut 20 Prozent. Möchte mal jemand ausrechnen, wie viele Zugriffe und Leser ZEIT Online dadurch verloren gehen? Dabei gilt die Redaktion als Online-Vorreiter und Chefredakteur Wolfgang Blau wurde gerade vom Guardian als Director of Digital Strategy abgeworben.

Auf meine Frage via Twitter an ZEIT Online, ob es wirklich keine Android-App für ZEIT Online gebe, bekam ich die Antwort: "Das stimmt. Wir konzentrieren uns auf Optimierung der Mobil/Tablet-Angebote." Aha. Fabian Mohr, Entwicklungs-Redakteur und Mitglied der Chefredaktion, ergänzte: "Das an einer nativen App festzumachen, ist nur etwas gestrig."

Süddeutsche.de hat zu meinem Erstaunen ebenfalls keine App aufgesetzt. Chefredakteur Stefan Plöchinger antwortete auf Nachfrage aber immerhin: "Kommt bald :)"

Viele Zeitungen besitzen nicht mal eine mobile Version ihrer Website

Ryan Lytle schrieb die Tage auf dem Blog 10.000 Words - Where Journalism and Technology meet: "It’s no surprise to anyone reading this that mobile devices, such as smartphones and tablets, are skyrocketing in popularity and usage." 36 Prozent der amerikanischen Smartphone-Nutzer lesen täglich News auf ihrem Gerät, schrieb er, 62 Prozent jede Woche. Und die Zahlen stiegen dramatisch schnell. "But it’s still shocking to see some news sites that aren’t fully optimized for the mobile experience."

Das trifft auch auf viele deutsche Regional und Lokal-Zeitungen zu, die ihre Website nicht für mobile Geräte optimiert haben – von einer App ganz zu schweigen. Sogar der Tagesspiegel gehört dazu. Dabei erzählte mir der Online-Chef Markus Hesselmann kürzlich bei einem Besuch mit dem Fachausschuss Online des DJV Berlin in seiner Redaktion, dass die Redaktion mittlerweile noch früher anfangen würde zu arbeiten, da die Leser heute nicht erst in Büro Nachrichten lesen würden, sondern bereits auf dem Smartphone auf dem Weg ins Büro.

Fehlanzeige auch bei der oft für ihre Online-Strategie gelobten Rhein-Zeitung. Auch die Leipziger Volkszeitung bietet keine mobile Version an. Das ist insofern konsequent, als dass auch die Titel des Mutterhauses Madsack, Hannoversche Allgemeine und Neue Presse keine mobile Version vorweisen können. Die Neue Presse wurde erst diesen Sommer gerelauncht. Das die Zukunft der digitalen Nachrichten-Nutzung vergessen wurde, sagt viel aus über das digitale Selbstverständnis eines der größten deutschen Zeitungs-Verlage in Deutschland - und damit auch über die deutsche Presse.


Die Debatte zum Text mit Beteiligung mehrer Online-News-Redaktionsleiter ist auf Facebook zu finden.


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