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Mittwoch, 18. Juli 2007

Die irren Journalisten von San Juan

Szene aus "The Rum Diary" von Hunter S. Thompson

In meiner Verzweiflung winkte ich mir ein Taxi und sagte dem Fahrer, er solle mich zur DAILY NEWS bringen.
Er starrte mich an.
"Die Zeitung!", brüllte ich und schlug die Wagentür hinter mir zu.
"Ah, sí", murmelte er. "EL DIARIO, sí."
"Nein, gottverdammt", sagte ich. "Die DAILY NEWS - die amerikanische Zeitung - El NEWS."
Er hatte nie davon gehört, also fuhren wir zur Plaza Colón zurück. Ich beugte mich aus dem Fenster und fragte einen Cop. Der wusste es auch nicht, aber schließlich kam ein Mann von der Bushaltestelle herüber und eklärte uns den Weg.

Wir fuhren auf einer gepflasterten Straße einen Berg hinunter ans Wasser. Nichts deutete auf eine Zeitung hin, und ich hatte den Verdacht, dass er mich nur hierher brachte, um mich loszuwerden. Wir bogen um eine Ecke, und plötzlich stieg er in die Bremsen. Ein kreischender Mob versuchte in ein altes, grünliches Gebäude einzudringen, das wie ein Lagerhaus aussah.
"Mach schon", sagte ich zu dem Fahrer. "Da kommen wir leicht dran vorbei."
Er murmelte etwas und schüttelte den Kopf.
Ich schlug mit der Faust auf seine Rückenlehne. "Mach endlich! Keine Fahrt - kein Geld."

Er murmelte wieder etwas, schaltete aber in den ersten Gang, manövrierte den Wagen auf die andere Straßenseite und hielt soviel Abstand wie möglich zwischen uns und dem Mob. Er stoppte, als wir direkt vor dem Gebäude waren, und ich sah, dass es sich um eine Bande von vielleicht zwanzig Puertoricanern handelte, die einen hochgewachsenen Amerikaner in braunem Anzug angriffen. Der widerum stand auf den Stufen und schwang ein großes Holzschild wie einen Baseballschläger.

"Ihr miesen kleinen Penner!", brüllte der Amerikaner. Eine verschwommene Bewegung, dann hörte ich einen dumpfen Schlag und Geschrei. Einer der Angreifer stürzte mit blutendem Gesicht zu Boden. Der Amerikaner zog sich, immer noch sein Schild schwenkend, in Richtung Eingangstür zurück. Zwei Männer versuchten, es sich zu schnappen, und er schlug dem einen so auf die Brust, dass der die Stufen hinunterfiel. Die anderen hielten Abstand, schrien und drohten mit den Fäusten. Der Amerikaner knurrte sie an: "Kommt schon, ihr Penner - holt es euch!"

Keiner rührte sich. Er wartete einen Moment, dann hob er das Schild über die Schulter und warf es mitten in die Menge. Er traf einen Mann in den Bauch, der auf die anderen stürzte. Ich hörte lautes Gelächter, dann verschwan der Amerikaner im Gebäude.
"Okay", sagte ich zu meinem Fahrer. "Das wär's - fahren wir."
Er schüttelte den Kopf und zeigte erst auf den Gebäude, dann auf mich. "Sí, está NEWS." Er nickte, dann zeigte er wieder auf das Gebäude. "Sí", sagte er düster.

Mir dämmerte, dass wir uns vor der DAILY NEWS befanden - meinem neuen Zuhause. Ich warf noch einen letzten Blick auf den stinkenden Mob und beschloss, wieder ins Hotel zu fahren. In diesem Moment hörte ich neues Geräusch. Ein Volkswagen hielt hinter uns. Drei Cops stiegen aus, schwangen ihre Schlagstöcke und schrien etwas auf spanisch. Einige aus dem Mob, andere blieben, um zu diskutieren. Ich schaute noch einen Moment zu, dann gab ich dem Fahrer einen Dollar und flitzte ins Gebäude.

Auf einer Tafel stand, die Nachrichtenredaktion der NEWS befinde sich in der ersten Etage. Ich nahm den Fahrstuhl und rechnete schon damit, auszusteigen und mich inmitten der nächsten Gewaltszene wiederzufinden. Doch die Tür öffnete sich zu einem dunklen Flur, und etwas weiter linke waren nur die üblichen Geräusche einer Lokalredaktion zu hören.

In dem Moment, als ich die Redaktion betrat, fühlte ich mich gleich besser. Es herrschte freundliches Chaos, das beständige Klappern von Schreibmaschine und Fernschreiber und sogar der Geruch von wirkten vertraut. Der riesige Raum schien fast leer zu sein, obwohl mindestens zehn Leute zu sehen waren. Der Einzige, der nicht arbeitete, war ein kleiner, dunkelhaariger Mann am Schreibtisch bei der Tür. Er saß zurückgelehnt da und starrte an die Decke.

Ich ging zu ihm hinüber, und als ich etwas sagen wollte, wirbelte er auf seinem Stuhl herum. "Na schön!", zischte er. "Zum Teufel noch mal, was willst du?"
Ich starrte auf ihn herab. "Ich fange hier morgen an", sagte ich. "Mein Name ist Kemp, Paul Kemp."
Er lächelte matt. "Entschuldigung - dachte, du wärst hinter meinen Negativen her."
"Was bitte?", fragte ich.
Er grummelte etwas von "klauen alles unterm Hintern weg" und "aufpassen wie ein Schießhund".
ich sah mich im Raum um. "Die sehen normal aus."
Er schnaubte. "Diebe - alles Ratten." Er stand auf und streckte mir die Hand hin. "Bob Sala, Fotoredaktion. Was führt dich heute Abend zu uns?"
"Ich muss unbedingt was essen."
Er lachte. "Pleite?"
"Nein, ich bin reich - ich finde bloß nirgends ein Restaurant."
Er ließ sich wieder in seinen Stuhl fallen. "Da kannst du froh sein. Das erste, was du hier lernst - vermeide Restaurants."
"Warum?", fragte ich. "Die Ruhr?"
Er lachte. "Die Ruhr, Filzläuse, Gicht, die Franzosenkrankheit - du kannst dir hier alles einfangen, einfach alles." Er sah auf die Uhr. "Warte zehn Minuten, und ich nehm dich mit rauf zu Al's."


Mal sehen, wie es morgen bei mir in der Redaktion läuft.


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Gut analysiert. Nur bei...
Gut analysiert. Nur bei der politischen Ausrichtung...
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Otto Hildebrandt (Gast) - 2013-10-10 14:08

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