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Samstag, 10. Februar 2007

Magenta ist keine Farbe

Darmstadt Industriegebiet, T-Online Hauptsitz

Noch einmal den Chip über den Scanner ziehen. Noch einmal durch die beengte, elektrisch gesteuerte und furchtbar enge Drehtür. Dann durch die lange Halle mit dem bunten Plastikboden, vorbei an dem firmeneigenen Bistro, dem Frisör und dem Geschäft, rüber zum Turm B und in den Aufzug. Noch einmal auf die fünf drücken.

Oben angekommen schwingt die Tür auf. Grau-blauer Fußboden und blaue und rosafarbene Plexiglas-Konstruktionen, die von innen beleuchtet sind, empfangen einen. Hier durfte sich so mancher Designer austoben. Nun gut, eigentlich gibt es überall die gleichen Formen. Weiter den Flur hinunter ins Büro. Sechs Schreibtische. Die Kollegen schauen komisch, die Chefin freundlich. Wirkt ehrlich. Ein paar nette Worte werden gewechselt. Dann rüber ins nächste Zimmer, der Abteilungsleiter bekommt die Kündigung.

"Jeder möchte bei einem Weltkonzern arbeiten"

Neulich kam im ZDF in der Sendung 37 Grad ein Bericht über drei Menschen, die einen Job suchten. Eine junge Deutschtürkin fand nach langer Suche endlich eine Lehrstelle in einem T-Punkt. Sie sagte: "Eigentlich möchte doch jeder bei einem Weltkonzern arbeiten." Nein, meine Gute. Ich nicht. Für diese Haltung muss ich noch nicht einmal an eine Bekannte denken, die auch nach langer Suche eine Lehrstelle in einem T-Punkt bekam, doch jetzt jeden Tag mit Bauchschmerzen arbeitet und ihre Kollegen befremdlich findet, weil diese ständig margentafarbene Sachen tragen und vom "T-Spirit" reden.

Ich muss weiter. Ausweise und Chipkarte abgeben. So schnell kommt man dann doch nicht raus. Danach aber. Diesmal zu Fuß durchs geräumige, weiße Treppenhaus mit der Fensterfront über sechs Etagen. Neben dem Geländer sind es fünf Meter bis zur Wand und viele Meter bis zum gefliesten Boden. Wer überhaupt keinen Ausweg mehr weiß, muss nur übers Geländer stolpern. Ich hingegen kenne den Ausweg sehr gut. Er führt runter, vorbei an der Kantine, vorbei an all den We-are-one-Family-Gesichtern, durch die Schranke, vorbei an den Empfangsdamen.

Draußen.
Etwas in mir löst sich. Die Arbeit war nicht schlecht. Die Kollegen waren nett, die Bezalung okay, doch wirklich identifizieren konnte ich mich mit den Themen und Formen nicht. Die Produktivitätsvorgaben machten es nicht besser. Das sehen wahrscheinlich viele, die dort arbeiten so. Mein halber Studiengang also, überspitzt gesagt. Letztlich fällt es mir schwer, konkret in Worte zu fassen, was für mein Unwohlsein gesorgt hat. Dieses Unwohlsein jeden Abend, bevor ich arbeiten musste, dieses Zusammenziehen des Magens während der Arbeit, dieses Gefühl in eine Maschine geraten zu sein, mit der man nicht kompatibel ist. Doch jetzt ist es vorbei. Da stehe ich nun. Der Himmel ist grau, doch die Luft, sie schmeckt nach Freiheit.

Darmstadt Ostbahnhof, Jet-Tankstelle

Da stehe ich nun also wieder. Wieder an einer Tankstelle, wieder als Tankwart. Wie viele Jahre habe ich schon als Tankwart gejobbt? Es müssen sechs gewesen sein. Vier an der kleinen DEA im Nachbardorf meiner Eltern zwischen Hameln und Hannover. Gemütlich war es da. Abends war es sehr ruhig. Man konnte Tee trinken, im Bürostuhl sitzen, das Licht gedimmt, und lesen.

Mit dem Studienbeginn kam dann eine neue Tankstelle. Die Esso. Was ein bekloppter, lockerer Laden. Alles Verrückte dort, aber so nett. Wie oft habe ich mich dort mit Kollegen unterhalten oder im Sommer ein Bierchen getrunken. Ob ich Schicht hatte oder nicht. Nun also wieder Tankstelle. Bevor ich fürs Praktikum nach Hamburg bin, war mir klar, dass ich mir danach einen gescheiten Job suchen wollte. Jetzt weiß ich: ein Job wird nicht gescheiter, nur weil man in einem tollen Büro arbeitet und mehr Geld verdient.

So stehe ich also da und es fühlt sich gut an. Für diesen Abend bin ich der Chef der Tankstelle und es ist niemand da, der mir sagt, wie und was ich zu arbeiten hätte. Der Kassenraum ist klein. Ich mag das. Ist gemütlicher. Trotzdem rennen mir die Kunden die Bude ein. Die Zeit an einer Tankstelle vergeht nur halb so schnell wie im Büro und es ist bisweilen doppelt so anstrengend. Doch die eigenen Hände, sie werden nicht von Fremden gelenkt.


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Johanna (Gast) - 2013-12-05 10:34
Gut analysiert. Nur bei...
Gut analysiert. Nur bei der politischen Ausrichtung...
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Otto Hildebrandt (Gast) - 2013-10-10 14:08

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