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Der Milchkuss – eine Sommergeschichte

Von Jan Söfjer

Im Sommer kam sie immer rüber zu ihm. Im Winter komischer Weise nie. Dann musste er sie besuchen. Doch was er bei ihr wollte, wusste er nie so richtig. Vermutlich wusste auch sie nicht, was sie bei ihm wollte. Obwohl, nein, Mädchen machten selten etwas ohne Absicht, das hatte Luis bereits gelernt.

Maja trug immer etwas sehr Kurzes, wenn sie daheim war, oder eben bei ihm, es war ja nur ein Haus weiter. Meistens eine knappe Shorts oder gleich ein Bikinihöschen - dazu ein Hemdchen. Sie konnte das noch tragen, man würde glauben, sie trüge es noch aus Gewohnheit, eine Zeitlang würde es noch gut gehen, dann wäre ihre Weiblichkeit endgültig unübersehbar. Jetzt jedoch war sie irgendetwas dazwischen. Ein pubertäres Ding mit vermeintlich kindlicher Unschuld, immer noch in einem schmalen Körper steckend, doch übersehen konnte man ihre Entwicklung nicht, nicht, wenn sie sich wie jetzt auf dem Tisch abstützte und Luis mit nach vorne gebeugtem Oberkörper gelangweilt ansah. Sie wollte ihn nur provozieren, war er sich sicher und es gelang ihr auch. Er erwiderte ihren Engelsaugen-Blick, Engelsaugen! Pah!, und steckte sich den nächsten Löffel seines Frühstücksmüslis in dem Mund.

„Gib mir auch einen Löffel!“, befahl sie ihm und er tat es einfach, obwohl er sich bewusst war, dass sie ihn kommandierte, aber wie hätte er ihre Bitte verweigern können, so unschuldig wie sie da mit den schlanken weichen Armen auf dem Tisch lehnte, die Sonne im Haar, nur sie beide in der kleinen Küche, ihre nackten Füße auf den fleckigen Holzbohlen? Draußen knisterte der Sommer.

Luis tauchte seinen Löffel in das Müsli und lenkte ihn vorsichtig über den grob gezimmerten Tisch ohne Decke. Er musste sich nach vorne beugen und als er Maja fast erreicht hatte, immer noch ohne einen einzigen Tropfen zu verschütten, da öffnete sie ihren Mund und er führte den Löffel hinein. Maja schloss ihre Lippen und zog das Müsli vom Löffel, doch sie war unvorsichtig. Ein gutes Quentchen Milch rann über ihren rotrosafarbenen Mund den Hals hinunter, über ihre spitzen Schlüsselbeinknochen mitten zwischen die Wölbung unter ihrem weißen Hemdchen. Sie schaute immer noch engelsgleich. Sie hatten Schulferien und niemand war zu Hause.

Draußen auf der Straße hupte ein Wagen, die staubigen Fenster zeigten ein altes Cabrio. Die zwei Studentinnen von nebenan sprangen hinein zu den Männern. Schon seit Tagen fuhren sie jeden Morgen an den See. Luis war alleine. Seine Freunde waren alle mit ihren Eltern im Urlaub. Doch er genoss es. Gleich hinter dem Haus gab es eine große Wiese und den Fluss. Mächtige Eichen legten Schatten über das hohe Gras. Er konnte dort Stunden liegen und zuschauen wie die Sonnenstrahlen durch das rauschende Blätterwerk fielen.

„Gibst du mir mehr?“, fragte Maja.
„Klar“, erwiderte Luis und lehnte seinen nackten Knabenkörper zurück an das kühle Holz der Stuhllehne. Er war gut gelaunt. Maja lächelte. Meistens saßen sie nur zusammen rum und redeten über belanglose Dinge.

Nun stand sie auf. Lange würde sie wirklich nicht mehr so rumlaufen können, dachte sich Luis noch. Aber eine Weile mochte es noch gehen. Sie kam und legte ihm einen Arm um den Hals, er liebte ihre zarte Haut und manchmal, da berührte er sie vermeintlich unabsichtlich, nur um sie zu spüren, wie konnte sie so eine weiche Haut haben?

Als würde sie es jeden Tag machen, setzte sie sich seitwärts auf seinen Schoss. Das war nicht das erste Mal, aber so komisch war ihm deswegen noch nie zumute gewesen. Luis legte, ohne dass er seinem Arm einen Befehl gegeben hatte, eine Hand an ihren Schenkel, tauchte den Löffel in das milchgetränkte Müsli, unvorsichtig, viel zu viel aufladend und hob den Löffel empor.

Sie beugte sich etwas hinunter, eigentlich mehr zu seinem Kopf als zu dem Löffel, aber er konnte sich auch täuschen, ihm war eh gerade etwas schwindelig, obendrein schlich sich auch noch ein Duft in seine Nase, es war ihr Duft, eine Mischung aus warmer Sommerhaut und salzigem Schweiß. Ihr braunes Haar fiel ihm auf die Schultern, es roch nach Rosen. Am liebsten hätte er sich in ihr Haar gelegt, um mit diesem Geruch in der Nase einzuschlafen. Aber das war nur sein zweitliebster Wunsch.

Maja schoss ihre Lippen behutsam um den Löffel. Jetzt drehte sie ihren Kopf zu ihm und grinste breit – ungeachtet der Milch, die erneut aus ihrem Mundwinkel, aus beiden Mundwinkeln heraus quoll, wieder den schlanken Hals hinunter, über die spitzen so hervorstehenden Schlüsselbeinknochen, und unter das weiße Hemd.

Maja amüsierte das, während sie in seinen Armen lag und ihr Müsli kaute. Dann schluckte sie und sagte: „Mein Hemd! Es ist ganz nass“, zog es in einer schnellen Bewegung über ihren Kopf und entblößte ihre zwei kleinen weißen Brüste. Luis’ Hände fingen leicht an zu zittern, aber nur ganz leicht. Dann umfasste er ihre Taille und Maja drückte ihre milchnassen Lippen auf seinen Mund.


© Jan Söfjer, 2008

Die Geschichte darf und soll privat weiterverbreitet werden. Eine kommerzielle Nutzung ist untersagt bzw. darf nur nach Absprache erfolgen. Rückfragen an: soefjer Klammeraffe gmx Punkt de
QuiBono - 2008-06-20 10:33

Der Ton und die Atmosphäre stimmt genau. Die kleine Geschichte kann einem das Herz leicht machen - und dann wieder schwer.
Matthias Gerhards - 2010-10-22 19:08

Schön

Eine gute Geschichte. Einfach und schön. Ich bekomme sofort Lust auch eine zu schreiben. Das ist mein Maß.
7an - 2010-10-22 19:25

ach, hallo, dass diese geschichte noch jemand findet. aber danke.
Matthias Gerhards - 2010-10-22 19:50

Na ja, ich war schon länger nicht mehr hier. Familiäre Verpflichtungen. Ab dem dritten Kind beginnt das Leben unübersichtlich zu werden.

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