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Das erste Mal Trampen

Regel: Man trampt nicht, um Geld zu sparen oder unter Garantie zu einem festbestimmten Ziel zu kommen, sondern um Freiheit zu erfahren, neue Orte und interessante Menschen kennenzulernen.

Wie sieht sowas aus? Ein Beispiel:

Letzte Woche war ich trampen. Ich habe darüber schon geschrieben, aber mehr über das drumherum, weniger das Trampen selbst. Das soll jetzt erfolgen.

Samstag morgen vor einer Woche bin ich auf aufgewacht und wusste: Heute ist es soweit. Ich wollte trampen. Getarnt habe ich es unter dem Vorwand, zu meinen Eltern reisen zu wollen, denn es gibt ja Sicherheit, wenn man ein festes Ziel hat und schon ein Bett auf einen wartet. Eigentlich wollte ich trampen. Das habe ich auch gemacht. Zum ersten Mal in meinem Leben.

Ich habe mir ein Pappschild gegriffen und in großen Lettern "Hannover" draufgepinselt und mich vor's Maritim in Darmstadt gestellt. Das ist nämlich die letzte Möglichkeit, wo Autos halten können, wenn sie auf die Autobahn wollen. Eine gute Freundin sagte mir, es sei immer am Schwersten aus einer Stadt hinauszukommen, am besten man fragt einen jungen Menschen an einer Tankstelle, ob dieser einen zur nächsten Autobahntankstelle mitnimmt. Das war mir aber zu blöd. Also stand ich da.

Es war 15 Uhr, heiß, die Sonne brannte. Ich trug, ein weißes kurzärmliges Hemd, Armeeshorts und Flip Flops - und mein Schild. Heißt: ich stellte, es neben mich vor meine Tasche. Dann setze ich mich hin und las im Spiegel. Ich war aber so aufgeregt, dass ich den ersten Satz 150 Mal las. Nach zehn Minuten hielt ein Auto. Ein Polo glaube ich. Junge Leute drin. Ich ging hin, aber es schien, als hätten sie nicht wegen mir angehalten. Hatten sie auch nicht. Aber auf Nachfrage nahmen sie mich trotzdem mit. Eigentlich wollte der Fahrer (Student) nur auf seine Schwester warten und mit einem Kumpel (auch Student) zu einer Hochzeit. Nette Typen. Bis auf die Schwerster. Die drehte sich später um und sagte: "Pass ja auf, wir sind zu dritt!", oder so etwas in der Art. Ich hätte fast gelacht.

Ich verließ Darmstadt. Juhu. Kurz vor Friedberg ließen sie mich auf einem Parkplatz raus, denn sie mussten die nächste Abfahrt runter. Toll. Da stand ich also - vielleicht 60 Kilometer weit gekommen - an einem kleinen Parkplatz, wo es außer einem Toilettenhäuschen nix gab. Ich ahnte Böses.

Nach fünfzehn Minuten hielt das nächste Auto. Ein netter Typ um die 40 nahm mich mit. Bis Melsungen wollte er. Das waren sicher 160 km (Alle Angaben vage geschätzt). Der Kerl war katholischer Pfarrer. Wir unterhielten uns super über französische Literatur und er erzählte mir von seinem Reisen nach Syrien sowie über Übersetzungsschwierigkeiten von alten und neue Sprachen.

An einem großen Autohof war er mich dann raus. Von da aus, sollte ich keine Schwierigkeiten haben, ein Auto zu finden, dachte ich mir, holte mir einen Imbiss und stellte mein Schild an den Straßenrand. Kein Auto hielt. Es dauerte eine Stunde. Es dauerte eineinhalb Stunden. Es dauerte zwei Stunden. Alles nur Familien mit Kindern in Bonzenkarren. Die nehmen einen natürlich nicht mit. Ich fühlte mich leicht aussätzig. Es wurde 19 Uhr.

Dann hielt endlich jemand. Ein junger Burscher. Jünger als ich. Servicemonteur für Eisenbahnen und so. Reist in der ganzen Welt herum für seinen Job. Indien, Paris, London. Menschen, die was von der Welt gesehen haben, Menschen, die ein bisschen Ahnung von der Welt da draußen haben und nicht nur 20 Jahre in ihrem Bürostuhl festkleben und glauben sie wüssten, wie das Leben läuft, nehmen einen immer mit. Reisende erkennen sich untereinander. Leider kam ich nur bis zum nächsten Rasthof. Kassel. Da musste er runter. Ich war optimistisch, sollte aber Unrecht behalten. Ich wartete wieder eineinhalb Stunden und irgendwann war es halbzehn und dunkel. Ich ging auf die Toilette und zog meine langen Klamotten an. Ich wartete weiter, aber es hielt kein Auto.

Nun ja, dann muss ich halt irgendwie nach Kassel rein - 10 km entfernt. Oder auf einer Wiese in der Nähe des Rasthofes pennen - ohne Schlafsack. Ich ging erst mal rein in die Tanke und fragte, wie ich nach Kassel kommen würde. Drinnen war ein Bursche und eine Frau um die 40. Sie sagte, sie würde Feierabend machen und ich könnte mit ihr mitkommen. Sie würde zum Bus gehen. Also gingen wir los. Zehn Minuten über dunkle Wege und einer Straße ohne Fußweg - hinein ins Industriegebiet. Die Frau war auch früher getrampt. Mit Freunden. Bis nach Korsika. Dann kam der Bus. Sie musste in die andere Richtung. Ich stieg ein und setzte mich neben drei Inder. Die arbeiteten auf dem Autohof neben der Tankstelle - seit 20 Jahren! Und sie waren gut gelaunt. Ich wusste nicht, ob ich Respekt oder Mitleid haben sollte.

Schließlich kam der Bus in Kassel an. Ich stieg in die Straßenbahn und fuhr zum Bahnhof Wilhelmshöhe, wo die Fernzüge fahren. Es war 23 Uhr und der Bahnhof war tot. Sorry, kein Zug mehr nach Hannover. Ich war in Kassel gestrandet.

Na und? Ich rief einen Kumpel an, er möge doch bitte für mich Couchsurfer in Kassel anschreiben, damit die sich bei mir melden. Aber da mir klar war, dass das eine gewagte Sache war, so spontan, laberte ich ein Mädel an, bei der ich ein gutes Gefühl hatte. "Hey, du kannst mir sicher helfen. Ich wollte nach Hannover trampen und bin hier gestrandet. Ich suche ne billige Absteige und ne Bar, wo ich feten kann." Sie konnte mir helfen. Schließlich landete ich da!.

Der Abend war recht lustig (siehe die letzten Unterwegs-Einträge). Am nächsten Morgen wollte ich dann aber per Mitfahrzentrale weiter, schloss mich aber spontan drei Typen aus Freiburg an, war mit ihnen auf der Documenta und schließlich haben sie mich für sieben Euro nach Hause gebracht, weil sie in meine Richtung fuhren. Spannende Menschen. Ebenfalls wie ich Literaturfreunde. Übernächste Woche besuche ich sie wohl mal in Freiburg. Da ist ihr nächstes literarisches Treffen. Thema: Nietzsches Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben.

Mein nächstes Ziel ist Wien (wobei ich die nächsten Fahrten wohl nicht trampen werde, da die Zeit zu eng ist und ich zu einer festen Zeit da sein möchte). In Wien habe ich (übers studivz) coole Typen aus einem Literaturzirkel kennengelernt. Und dann irgendwann möchte ich noch mal nach Frankreich trampen - Paris wahscheinlich. Und schließlich wird es Zeit, dass ich das erste Mal couchsurfe. Aber Paris wird schon ein großes Ding. Alleine, weil ich die Sprache nicht spreche und kaum ein Franzose Englisch. Es dürfte spannend werden.
kafkaesk - 2007-08-26 17:52

"Alleine, weil ich die Sprache nicht spreche und kaum ein Franzose Englisch." --> da kennst du die pariser aber schlecht.
7an - 2007-08-26 22:58

gut zu wissen :)
Nyxon - 2007-08-26 18:12

Wenn ich hier manch einen deiner Beiträge lese, fühle ich mich danach meist schrecklich konservativ. Trampen wäre glaube ich gar nichts für mich, da fehlt mir die Sicherheit auch wirklich anzukommen. Und genau deshalb dieses seltsame Gefühl, zu konservativ zu sein - das StudiVZ nutzen, um komplett neue Menschen kennen zu lernen, statt nur alte Freundschaften aufleben zu lassen oder mit Weggezogenen in Kontakt zu bleiben, eine klasse Sache, die ich wohl nicht so schnell umsetzen würde!

Vielleicht sollte ich einen deiner Sätze aus dem Beitrag "Fester Job" mehr beachten: "Was gibt es besseres, als freies leben und freies arbeiten?" Klang für mich erst sehr revolutionär und naiv. Heute klingt er schon sehr viel richtiger, selbst in meinen Ohren.
7an - 2007-08-26 22:58

nein nein nein. ich selbst fühlte mich furchtbar konservativ bzw. fühlte mich konservativ, ach ich weiß nicht. nein, immer haben mir bekannte von ihren reisen erzählt. auslandssemester, praktika in australien, backpacking in vietnam, und immer sagte ich: "woah! cool" und sie sagten: "hey, du sagst immer 'woah! cool!', aber warum machst du es nicht eimmal selbst?" ich wusste es nicht. ich wusste nur, dass das meiste für mich nicht das richtige war. was sollte ich denn ganz allein in vietnam oder australien? ich würde furchtbar depressiv werden. nein, jeder muss seine eigenen art zu reisen finden, wenn er das denn überhaupt möchte. man muss erst selber genug gereift sein, um bereit für die reise zu sein. denn genau wie bücher sind auch reisen immer spiegel, die teile von einem selbst reflektieren. man muss innerlich reif genug sein, um von außen bereicherung erfahren zu können.

man muss immer sein ding finden. es ist auch kein zufall, dass ich zum ersten mal getrampt bin, jetzt wo ich arbeite. ich spüre die ganzen strukturen und schienengleichen wege um mich herum, ich fahre morgens mit dem zug zur arbeit, ich weiß eventuell schon mit welchem kumpel ich am wochenende in welchen laden gehen werde und es ist unerträglich. das wahre leben liegt außerhalb dieser festen pfade. beispiel: ich fahre mit einem zug. im ersten fall, habe ich ein festes ziel. vielleicht ist es sogar die arbeit, zu der ich fahre. die fahrt ist nicht sehr spannend. warum auch? im zweiten fall habe ich die nötige zeit und ein wenig geld und beschließe zu reisen. einfach so, morgens beim aufwachen. ich packe ein paar sachen ein und gehe los, ich überlege zu trampen, entscheide mich aber für eine zugfahrt. im bahnhof wähle ich den erstbesten zug und steige ein. es kann ruhig die selbe richtung wie im ersten fall sein. wie fühlt sich das an? immer noch unspannend? dabei ist es eigentlich die selbe handlung, der selbe zug. oh, es gibt so viel zu entdecken. doch überall sieht man nur strukturen. frauen und männer die zur arbeit fahren oder von der arbeit kommen, frauen und männer, die zu bekannten fahren und ungefähr wissen, über was sie dort reden werden, frauen und männer, die in den urlaub fahren - jahr für jahr in die selbe region auf jeden fall aber eine fest gebuchte reise mit etwas essen gehen, etwas strand und etwas pärchensex. eigentlich müsste man dem menschen einen papierstapel vor die füße legen. ein protokoll seines lebens, wo genau drin steht, was er wann macht. vielleicht würde aber auch nach der zehnten seite stehen: ab hier wiederholen sich seite 3-10 für das lebensjahr 25 bis 74. es wechselt lediglich dreimal der arbeitgeber und zweimal der ehepartner.
Treibgut - 2007-08-26 18:24

Trampen

Das mit dem "englisch" in Paris sollte tatsächlich kein Problem sein. Deine Tramperfahrungen fand ich sehr interessant. Heute würde ich das nicht mehr machen. Es läuft auch nicht immer so einfach ab, manche (Männer) wollen "fummeln", jedenfalls war das vor 25 Jahren so. Ich erinnere mich aber auch, dass ich mal ganz gut durch Korsika durchgekommen bin. Wurde nur von Frauen mitgenommen (die nicht fummeln wollten).
7an - 2007-08-26 23:00

als frau ist das echt ein anderes ding, leider. zumindest wenn man keinen freund bei sich hat. aber es geht ja nicht nur ums trampen. es geht mehr um das ungeplante, das spontane. trampen ist nur eine möglichkeit.
chaetzle - 2007-08-26 19:15

meine Eltern sagten immer, ich solle bloss nie trampen. Sei zu gefährlich, und so. Da ich ja meist ein braves Mädel war, hatte ich es auch beherzigt. Bis zu dem Tag, als meine Freundin und ich die Schule schwänzten, und umbedingt in das nächst grössere Städtchen wollten. Bus fuhr nicht, Mama anrufen war nicht drin. Also an die Strasse gestanden, und Daumen raus. Eines der erste Autos hielt an (war wohl der Vorteil, junge Frauen von süssen 16 zu sein). Wir quetschten uns in den VW Scirocco. Wie das Auto, so der Fahrer, kann ich nur sagen. Ich denke , er wollte uns seine Männlichkeit beweissen...Wir hielten uns an allem fest, was griffbereit war. Wir beteten, dass wir doch wieder gesund und nicht als Leiche aus dem Auto kämen. Ich glaube, die Strecke war in Rekordzeit zurückgelegt. Aber wir schworen uns, nie nie mehr zu trampen. (Was natürlich nicht so war). Jahre später ging es per trampen durch Irland und Schottland. Mehr oder weniger unbeabsichtigt- weil die Züge nicht fuhren..
7an - 2007-08-26 23:01

oh weh, da muss ich auch noch hin. unbedingt. verdammt. es gibt noch so viel zu entdecken.

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