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Studiengang Online-Journalismus bringt kaum Journalisten hervor

Auf Xing gibt es eine Alumni-Gruppe meines ehemaligen Studienganges Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt. Einige Absolventen des Studienganges Wissenschaftsjournalismus sind auch darunter. 129 Mitglieder hat die Gruppe. Das müsste etwas mehr als die Hälfte der Absolventen sein. Von den 129 Diplom-Online-Journalisten arbeiten 20 als Journalisten - wenn man ernsthafte Maßstäbe anlegt. Drei von den 20 davon arbeiten ganz oder teilweise im Print-Journalismus.

In Darmstadt muss man im Hauptstudium zwischen den Schwerpunkten Online-Journalismus und Online-PR wählen. In meinem Jahrgang hatten 13 von 32 Journalismus gewählt. 40 Prozent entschieden sich für den Journalismus. Von den bisherigen Absolventen, die in der Gruppe erfasst sind, arbeiten weniger als sieben Prozent als Journalist. Die Ausbildung war spannend und interessant, durch die Zahlen werden die Inhalte nicht schlechter, aber man muss sich fragen, ob der Studiengang den Begriff "Journalismus" zu recht im Titel führt.

An der Universität Dortmund soll laut dem Gründungs-Professor Ulrich Pätzold ein Großteild der Absolventen als Journalist arbeiten. Von meinen elf Mit-Absolventen der Reportageschule arbeitet, soweit ich weiß, nur eine halbtags in der PR, die anderen im Journalismus.

Dass Darmstadt verhältnismäßig wenig Journalisten hervorbringt, muss also auch etwas mit der Ausbildung zu tun haben. Ein wichtiger Faktor ist sicherlich, dass man im Hauptstudium den Schwerpunkt PR wählen kann. Manche entscheiden sich nur deshalb für das Studium. Aber wäre es besser, würde in Darmstadt ausschließlich journalistisch ausgebildet werden? Es muss ja niemand, der nicht möchte, PR-Kurse belegen. Und ganz nebenbei hat das Studium mit PR-Schwerpunkt unter Professor Thomas Pleil einen guten Ruf (wie auch die Textausbildung unter Professorin Friederike Herrmann). Dass die Darmstädter Absolventen notgedrungen in der PR arbeiten, aber eigentlich lieber Journalisten wären, den Eindruck habe ich jedenfalls nicht. Man kann somit nicht sagen, dass der PR-Schwerpunkt die Studenten verführt. Es möchten einfach mehr Studenten PR als Journalismus studieren. Das ist die ganze Wahrheit. Trotzdem wäre es gut, wenn Darmstädter Absolventen mit Schwerpunkt PR einen anderen akademischen Titel als die Journalisten bekämen. Diplom-Online-Public-Relations-Manager oder etwas ähnliches. Aber das scheitert vermutlich am Hochschulrecht.
Lorenz Lorenz-Meyer - 2010-12-10 15:07

Lieber Herr Söfjer,

ich fürchte, Sie vermitteln hier ein irreführendes Bild unseres Studiengangs Online-Journalismus. Insbesondere stimmt Ihre These nicht, unser Studiengang würde "kaum Journalisten hervorbringen".

Im Jahr 2008 hat der Kollege Klaus Meier mit Studierenden eine Absolventenbefragung für den Studiengang durchgeführt. Befragt wurden die ersten drei Absolventenjahrgänge, von insgesamt 101 angeschriebenen Absolventen haben 83 geantwortet und detailliert über ihre Arbeitssituation Auskunft gegeben.

Das Resultat: 42 Prozent arbeiteten nach eigenen Angaben im Journalismus (35), 34 Prozent in der PR (28) und 21 Prozent in anderen Branchen (17). Zwei Absolventen studierten zum Befragungszeitpunkt ausschließlich, einer studierte und hatte einen Teilzeit-Job.

Dies ist natürlich der Stand von 2008, aber wir haben wenig Grund zu der Annahme, dass sich bei den letzten zwei Absolventenjahrgängen die Proportionen verschoben hätten.

Wenn man davon ausgeht, dass - wie vorgesehen - rund die Hälfte unserer Studierenden im Hauptstudium den Vertiefungsschwerpunkt PR wählen, entspricht dieses Bild weitgehend den Ausbildungszielen, die wir uns mit dem Studiengang gesetzt haben. Die Anteile für Journalismus vs. PR bei der Schwerpunktwahl schwanken von Jahrgang zu Jahrgang ein bisschen. Im Gegensatz zu Ihrem Jahrgang hatten wir in den letzten drei Jahren mehr Studierende, die den Schwerpunkt Journalismus gewählt haben. Im Durchschnitt ist die Bilanz zwischen den beiden Schwerpunkten jedoch weitgehend ausgeglichen.

Was nun die Alumnigruppe bei Xing angeht, so ist diese nicht repräsentativ. Aber ich kann auch Ihre dortigen Beobachtungen nicht nachvollziehen: Ich komme bei einer kursorischen Bestandsaufnahme derselben Daten zu einem deutlich höheren Anteil praktizierender Journalisten. Darüber hinaus stelle ich fest, dass viele der Mitglieder der Gruppe Angaben gemacht haben, aus denen sich ihr Arbeitsfeld gar nicht präzise ableiten lässt.

Die Ergebnisse der Absolventenbefragung sind belastbarer, und ich füge deshalb hier noch ein paar weitere Resultate an:

* 83 Prozent der Absolventen hatten innerhalb eines halben Jahrs nach Abschluss des Studiums einen Job;

* Die große Mehrheit der Absolventen (91 Prozent) war mit ihrer aktuellen Stelle „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“. Dabei waren Journalisten und PR-Fachleute in etwa gleich zufrieden. Nur ein Absolvent gab an, er sei unzufrieden;

* 73 Prozent würden sich wieder für den Studiengang entscheiden.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr
Prof. Dr. Lorenz Lorenz-Meyer
Studiengang Online-Journalismus
Hochschule Darmstadt
7an - 2010-12-10 16:36

Lieber Professor Lorenz-Meyer,

Danke für Ihre Ergänzung und Differenzierung. Die Studie ist in der Tat belastbarer als eine Auswertung der Alumni-Gruppe. Wen man aus dieser Gruppe zu den Journalisten zählt, hängt, wie unsere unterschiedliche Zählung zeigt, von der Definierung des Berufsfeldes ab. Entwicklungsredakteure und Redakteure von PR- oder Kundenmagazinen sind für mich beispielsweise nicht wirklich Journalisten. Von Leuten, die nur ab und an wirklich journalistisch arbeiten, ganz zu schweigen. Aber schon über den Begriff "journalistisch" kann man ja streiten. Der DJV nimmt von vornherein auch PR-Leute auf. Am Ende ist also irgendwie jeder Journalist. Unser Grundgesetz hat den freien Zugang zu dem Beruf zwar geschützt, aber irgendwann sollte man schon ernsthaft abgrenzen. Deswegen wäre ich auch für einen eigenen akademischen Titel der Darmstädter Absolventen mit Schwerpunkt Public Relations.

Beste Grüße, Ihr Jan Söfjer
Lorenz Lorenz-Meyer - 2010-12-12 10:04

Klar, wer Redakteur einer Kundenzeitschrift ist, betreibt PR. Das lernen unsere Studenten schon im ersten Semester. Warum Sie allerdings Entwicklungsredakteurinnen, die neue journalistische Formate konzipieren und erproben, oder jungen Eltern, die wegen ihrer Kinder Journalismus nur in Teilzeit betreiben, den Titel Journalist absprechen wollen, erschließt sich mir nicht ganz. Selbst wenn - was sicher nicht selten ist - freie Journalisten nebenbei andere Tätigkeiten übernehmen müssen, um sich ihren eigentlichen Beruf zu subventionieren, sagt das doch eher etwas über den Medienmarkt aus als über ihre Berufswahl oder gar über ihre Ausbildung!

Sie sehen, die "ernsthaften Maßstäbe", die Sie uns in Ihrem Beitrag noch vorenthalten, sind  - schon in den wenigen Andeutungen, die Sie jetzt im Kommentar nachliefern - bei näherer Betrachtung durchaus problematisch. Und Sie ziehen daraus sehr weitreichende, letztlich falsche Konsequenzen, die ein völlig verzerrtes Bild unseres Studiengangs vermitteln.

Wenn Sie einen Beitrag zur Schärfung des Journalismusbegriffs leisten wollen, tun Sie das. Aber tun Sie es bitte am richtigen Schauplatz. Herzlichen Dank.
7an - 2010-12-13 14:34

Lieber Professor Lorenz-Meyer

Wenn jemand dauerhaft nur Konzepte entwickelt, ist er nach meinem Verständnis nicht wirklich ein Journalist. Von Müttern und Eltern habe ich nichts geschrieben. So oder so spreche ich nur von der beruflichen Arbeit. Im Übrigen kenne ich keinen Darmstädter Absolventen der notgedrungen in der PR arbeiten muss, aber eigentlich viel lieber Journalist wäre (und alles nötige unternimmt, um damit einen Großteil seines Geldes zu verdienen).

Dass ich das Bild des Studiengang verzerre, sehe ich nicht. Ich habe lediglich geschaut, wie viele in der Alumni-Gruppe in erster Linie als Journalisten arbeiten. Die Studie nennt höhere Zahlen und man muss sich mehr nach ihr als nach der Xing-Gruppe richten. Sie schrieben aber selber, dass viele Mitglieder der Gruppe Angaben gemacht hätten, aus denen sich ihr Arbeitsfeld gar nicht präzise ableiten ließe. Da frage ich mich, wo sich diese Leute dann bei der Berufsbezeichnung eingeordnet haben.

Trotzdem arbeiten mit Sicherheit weitaus mehr als sechs Prozent der Darmstädter Absolventen als Journalisten - aber mit Sicherheit auch weitaus weniger als 50 Prozent. Das ergibt sich schon aus der Struktur des Studiums. Der Studiengang Online-Journalismus legt schließlich ein sehr breites Fundament und zeigt sehr viele berufliche Wege auf. Die Kompetenz, die meiner Meinung nach, am stärksten vermittelt wird, ist es, Online- bzw. Crossmediale-Konzepte bewerten und entwickeln zu können. Die Schreibausbildung macht im Vergleich pro Semester maximal drei Stunden die Woche aus (korrigieren Sie mich, wenn es mittlerweile anders ist, bei mir war es weniger). Die crossmediale Breite der Ausbildung ist enorm und wohl einzigartig in Deutschland. Selbstverständlich nutzen etliche Absolventen diese Fähigkeiten beruflich.

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