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Mittwoch, 23. Februar 2011

Wie Meldungen in die Presse geraten, die Menschen in ihrer Würde verletzen

Am 8. Februar, es war ein Dienstag, hatte ich Frühdienst in der Online-Redaktion der Frankfurter Rundschau. Ich war für die Platzierung der Top-Themen verantwortlich. Eine der Meldungen des Morgens war, dass die aus der Takelage der Gorch Fock tödlich abgestürzte Kadettin Sarah Seele angeblich starkes Übergewicht hatte. Die Bild-Zeitung hatte darüber berichtet und aus dem Obduktionsbericht zitiert.

Mir behagte die Meldung nicht. Ich fand, sie griff die Würde der Toten an. Ich ignorierte die Meldung erst einmal und lies sie etwas versteckt im Ressort. Später wies mich ein Kollege darauf hin, dass wir die Meldung prominent hoch ziehen müssten - wie viele andere Nachrichtenseiten. Die Bild zitiert immerhin aus dem offiziellen Obduktionsbericht, dachte ich mir, Bild-Redakteure sind zwar nicht für ihre hohe Moral bekannt, aber sie werden sich die Meldung nicht ausgedacht haben. Ich zog die Meldung hoch, achtete aber darauf, dass nirgendwo von "dick" oder "fett" die Rede war und verwendete im Titel den Begriff "offenbar dienstunttauglich".

Zwei Tage später stellte sich heraus, dass die Bild-Redakteure doch nicht ganz so sorgfältig recherchiert hatten. Für den Rücktransport war die Leiche der Frau mit 20 Kilo Formaldehyd präpariert worden, weil es im Flugzeug keine Kühlanlage gab. Das Transportgewicht tauchte in einem Bericht später als Körpergewicht auf. Die Bild zitierte die falsche Angabe.

Ich habe davon erst heute durch einen Bericht im aktuellen Spiegel erfahren, in dem der Freund von Sarah Seele, Daniel Wagner, ebenfalls bei der Marine, seine Partnerin rehabilitiert. Die Geschichte zeigt also auch, wie schnell sich gehässige Nachrichten verbreiten, wie schwerfällig jedoch die Richtigstellungen.

Vielmehr als die Sensationsgier der Bild-Zeitung, die die Macht gehabt hätte, die Meldung nicht in Umlauf zu bringen, frage ich mich allerdings, wer Seeles Bericht überhaupt an die Bild weitergereicht hat? Irgendwer muss es getan haben. Vielleicht jemand von der Bundeswehr, vielleicht ein Mediziner, vielleicht jemand von der Staatsanwaltschaft. Ich, und da bin ich nicht der Einzige, rege mich oft darüber auf, dass plötzlich die Presse wie verrückt über Fälle wie Käßmann oder Kachelmann berichtet. Ist jedoch so eine Meldung einmal in der Welt, ist sie nicht mehr aufzuhalten. Dann schimpfen alle über die böse Presse. Niemand schimpft aber über denjenigen (oft kann es nur ein Staatsdiener sein), der die Meldung an die Bild-Zeitung weitergereicht hat. Das nur am Rande.

Am Ende des Spiegel-Berichtes steht: "Nach Sarah Seeles Tod beklagte der 'Gorch Fock'-Kommandant Schatz, dass die motorischen Fähigkeiten der Kadetten abgenommen hätten: 'Die Jugend sitzt nicht mehr im Kirschbaum, sondern eher vor dem Computer.'" Die Süddeutsche Zeitung war sogar ganz verliebt in dieses Zitat und hat es mehr oder minder in jeden Artikel zum Thema geschrieben. Der Freund von Sarah Seele zeigte dem Spiegel ein Foto, dass sie in einem Hochseilgarten zeigt. „Sie war ein Kirschbaumkind“, beteuert er. Der Kommandant kannte Sarah nicht, sagt Wagner.


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Johanna (Gast) - 2013-12-05 10:34
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Otto Hildebrandt (Gast) - 2013-10-10 14:08

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