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urbane geschichten

Freitag, 23. März 2012

Van Xuan Berlin - Rausschmiss wegen zu wenig Verzehr

Zu Hause kann ich nicht schreiben, ich gehe dafür in Bibliotheken oder, wenn diese geschlossen sind, in Bars und Cafés. Noch nie habe ich jedoch so etwas erlebt, wie Café-Restaurant Van Xuan am Kaiser-Wilhelm-Platz in Berlin-Schöneberg.

Als ich das Lokal betrat, fragte ich, ob es in Ordnung sei, mich mit meinem Laptop hinzusetzen und ob es einen Platz mit Steckdose gebe, woraufhin mich die Kellnerin zu einem führte.

Ich blieb rund zwei Stunden und trank ein großes Bier. Das Lokal war fast leer, nur ein Tisch besetzt. Dann wurde mir die Rechnung gebracht, obwohl ich nicht nach ihr gefragt hatte. Schließlich wurde ich aufgefordert zu gehen. Warum? Weil ich in zwei Stunden nicht so wenig konsumieren dürfe und obendrein noch Strom verbrauchen, sagte mir die Kellnerin. Da war ich sprachlos.

Es war offenbar nicht die Initiative der Kellnerin, sondern des Chefs, der vorher zweimal vorbeigelaufen war. Ich wollte mit ihm sprechen, doch er ließ sich verleugnen.

Dienstag, 8. September 2009

Das Essen mit einem Armen teilen

Es ist so gut wie unmöglich, sich einen Tag in Berlin zu bewegen, ohne einen Menschen zu treffen, der um etwas Geld bittet. Junge Menschen, die in den Bahnen mit einer monotonen Stimme die Störung entschuldigen, erzählen, dass sie ganz frisch obdachlos geworden sind und um etwas Geld bitten. Manche verkaufen die Zeitung Straßenfeger, andere sagen nichts uns musizieren einfach. Musiker gibt es alle 50 Meter in Berlin. Manchmal auch alle fünf. Es ist Routine in der Hauptstadt.

Neulich war ich dennoch ein wenig verdutzt, als ein am Straßenrand sitzender Mann, dem ich auf eine Bitte hin, zuvor 20 Cent gegeben hatte, meine leere Pfandflasche nicht haben wollte. Vielleicht war ich deshalb so überrascht, als mich heute Abend ein älterer Mann auf einer Bank sitzend ansprach und schlicht um etwas zu essen bat.

Ich kam gerade vom Inder und hatte ein Gericht dabei. Spontan gab ich dem Mann meinen Vorspeisesnack - diese knusprigen, scharfen Dinger, deren Namen ich nicht weiß. Sie zerbröselten unter seinen Händen, doch er bedankte sich sehr.

Ich dachte mir, als ich weiterging, dass das keine besondere Spende von mir war. Auch zu Hause beschäftige es mich weiter.

Ich beschloss, dem Mann sofort etwas zu bringen. Aber was? Ein belegtes Brot? Aber wie konnte ich ihm nur ein Brot bringen, wenn ich selber ein Hühnercurry zu essen hatte? Ich entschied mich, mein Essen zu teilen. Die Hälfte nahm ich aus der Box und legte noch eine Scheibe Brot hinein. Dazu nahm ich ein Bier mit.

Der Mann saß noch an seinem Platz. Ich gab ihm alles. Mehr Rührung und Freude habe ich, soweit ich mich erinnern kann, nie gesehen.

Freitag, 19. September 2008

Das zerrissene Frankfurt

In München scheint wirklich immer die Sonne. Immer wenn ich hier übernachte, erwartet mich am nächsten Morgen ein wunderschöner Tag. Und auch sonst ist diese Stadt einfach sauangenehm. Zweifelsohne eine der chilligsten Städte, die ich kenne. Auch der Bruch zu Frankfurt (wo ich zum Glück nur arbeite, aber nicht wohne) wird mir da immer wieder deutlich. Die Banken-Skyline sieht zwar hübsch aus, wenn man mit dem Zug ins urbane Herz der Stadt rauscht, aber zu Fuß komme ich mir in der Taunusanlage immer vor, als würde ich durch Second Life laufen. Die Türme lassen wenig Raum für Gemütlichkeit. Gleichzeitig fehlt aber richtiges Skyscraper-Feeling, wie es einen in New York erwartet. Nein, Frankfurt ist eine ambivalente Stadt. Sie ist zerrissen zwischen Business, Pendlern, festgesessenen Altbürgern und einer viel zu rustikalen Gemütlichkeit. Frankfurt ist weder Fisch noch Fleisch.

Montag, 23. Juni 2008

Lima: Medizin für meine Seele

La Avenida Abancay, (c) pierre pouliquin, flickr
La Avenida Abancay, Foto: pierre pouliquin

Jeder Mensch hat eine bestimmte Vorstellung von einer Stadt. Doch wie lebt es sich wirklich dort? Teil vier der Serie Vita Urbana.

Ein Gastbeitrag von Yuri Pumahualca

Prolog

1992 starben immer noch Menschen in Peru. Maschinengewehrsalven zerrissen Polizisten und Bomben die Straßen. „So sterben die Hunde der Regierung“, stand auf Plakaten, die über den Toten lagen. Es war die Botschaft von Sendero Luminoso, des Leuchtenden Pfades, einer Guerilla-Organisation, die den ganzen Staat stürzen wollte. Zigtausende Menschen starben.

1992, da war ich zehn Jahre alt und lebte in Lima, der Hauptstadt Perus. Ich erinnere mich noch daran, wie Bank „Continental“ in unserer Straße explodierte. Und manchmal hatte ich schulfrei, weil die Gewalt wieder durch die Straßen schlich.

1992 war aber auch der Anfang vom Ende des Terrors. Abimael Guzmán, der Anführer des Leuchtenden Pfades wurde verhaftet und mit ihm weitere Köpfe. Viele Guerillas ließen ihre Waffen fallen.

Doch das Lima meiner Kindheit, es war nie wirklich das Lima des Terrors gewesen. Mein Lima, das war vor allem die Jirón Huallaga.

Jirón Huallaga, die Straße meiner Kindheit

Es sind Ferien. Musik und Gelächter mischen sich mit den Düften würziger Mittagsgerichte. Illegale Straßenhändler versuchen, ihre Produkte an den Mann zu bringen. “Darf ich vorbei?”, “Vorsicht!”. Überall drängeln sich Triciclos hindurch – dreirädrige Transport-Fahrräder. Unmöglich, hier mit dem Auto zu fahren.

Ich habe soeben ein Paar Schuhe verkauft. Meine Mutter hat einen kleinen Laden. Jetzt in den Ferien bin ich drei Mal die Woche hier und helfe. Aber nun habe ich mir eine Pause verdient.

„Eis! Kaugummi! Zigaretten! Kekse!“ die Händler, unter ihnen viele Kinder, wollen alles an den Mann bringen. Zwischendrin verkauft eine Frau Anticuchos – köstliche Fleischspieße. Die armen Menschen tragen eine leichte Traurigkeit in ihren Gesichtern, aber Optimismus in ihren Stimmen.

An einer Ecke wirbt ein Mann für natürliche Medizin. Sie heile „Leber-, Nieren- und Magenkrankheiten“, sagt er. Die Leute sammeln sich um ihn und lauschen seinem Vortrag über Pflanzen und ihrer Verarbeitung. Ich höre auch zehn Minuten zu, dann frage ich mich, ob der Mann lügt.

Ich gehe weiter, ich habe keine Uhr, aber ich mache mir keine Sorgen. Meine Mutter hat bestimmt wieder von Frau Pérez Besuch bekommen. Die gutmütige Frau Pérez. Sie begrüßt jeden Kunden so herzlich, dass man glauben könnte, der Laden gehöre ihr.

Doch wo soll ich hin? Zur großen Allee, wo der peruanische Präsident Alberto Fujimori lebt? Erst später sollte ich erfahren, dass er die Inflation überwand und weitestgehend den Terror bezwang. Allerdings nur, indem er genauso grausam wie die Terroristen vorging. Selbst 2008 laufen noch Klagen wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption gegen ihn.

Ich weiß nicht, ob ich weitergehen soll. Ich habe Angst. Angst, dass mir die Zeit vergeht und meine Mutter vielleicht meine Hilfe braucht. Sie könnte auch überfallen werden. Wer weiß. Doch dann lenken mich die Gerüche des Mercado Centrals „Ramón Castilla“ ab.

Ich sehe Fische und Fleisch jeglicher Art. Der Boden ist nass. Männer tragen Obst und Getreide in großen Tüten aus Stoff. Ich gehe weiter und entdecke einen Spielzeugladen. Vielleicht finde ich etwas, was mir meine Eltern zu Weihnachten schenken könnten. Ich vergleiche die Preise und lerne sie auswendig.

Als ich hinausgehe, werde ich fortgeschwemmt und lande in einer Juwelengalerie Ketten und Ohrringe aus Gold und Silber. Fünfzig Händler konkurrieren hier um Kunden. Ich kaufe mir nichts. Wovon auch? Ich bin doch noch ein Kind. Schon höre ich den Verkehr der großen Allee „La Avenida Abancay“. Mein Herz schlägt höher. Ich habe Angst, weil dort oft große Gruppen von Leuten marschieren. Sie tragen dann Plakate und streiten sich mit der Polizei.

Ich stehe unschlüssig da. Autos und Busse hupen sich gegenseitig an. Die Kassierer der Busse hängen sich an die Tür und schreien die Namen der Orte, zu denen sie fahren. Die Passagiere steigen schnell ein und aus. Niemand verpasst seinen Bus. Er wartet immer. Mehr Geld für den Fahrer.

Nein, heute überquere ich die große Allee nicht – trotz meiner Neugier. Ich habe meine Mutter schon lange genug alleine gelassen.


Yuri Pumahualca wurde in Lima geboren und studiert Romanistik in Frankfurt am Main.

Sonntag, 25. Mai 2008

Kabul: Die Insel des Krieges

Kabul, (c) mknobil, flickr
Kinder in Kabul, Foto: mknobil, flickr

Jeder Mensch hat eine bestimmte Vorstellung von einer Stadt. Doch wie lebt es sich wirklich dort? Teil drei der Serie Vita Urbana.

Ein Gastbeitrag von Max Henninger

Nein. Mit den Metropolen dieser Welt kann sich Kabul nicht messen. Hier schreibt man gerade das Jahr 1387 – und dieses Jahr im islamischen Kalender passt zu der Stadt. Aber was will man auch von einer Stadt, einem Land, erwarten, das von zwanzig Jahren Krieg gezeichnet ist?

Kabul ist Staub, Hitze, Berge und Müll. Die Straßen sind Buckelpisten. Nur im Herzen der Stadt, der Shar-e nau (Neustadt), ist einem der Luxus betonierter Trottoirs gegönnt.

Kabul ist kein Wasser, kein Strom und keine Kanalisation. Manchmal stinkt es gewaltig zum Himmel. Smogcity. Im Sommer sieht man durch die gewaltige Abgaswand nicht einmal mehr die Berge, den atemberaubenden Hindukusch.

Kabul ist Militär, Konvois, Waffen. In aller Herrgottsfrüh brettern Kampfhubschrauber über die noch schlafende Stadt. Fenster zittern, vibrieren, bersten. Patrouillen rasen mit ihren gepanzerten Gefährten durch die Straßen. Man sieht keine Gesichter – nur Oakley-Sonnenbrillen, Helme und vermummte Fratzen.

Kabul ist Korruption. Nachts werden die Checkpoints zu Geldmaschinen. Polizisten sacken ein, was geht. Können sie auch, denn sie haben Kalashnikows. Und die meisten Politiker machen ja tagtäglich vor, wie es geht: Bakshish-Mentalität wohin das Auge blickt.

Kabul ist Fleisch. Schafe, Ziegen, Rinder werden auf der Straße geschlachtet. Das Blut fließt in die Abwassergräben. Mücken, Fliegen tummeln sich an diesen Plätzen. Butcherstreet: Überall hängt totes Tier. Kleine Herden von Ziegen und Schafen fressen sich durch den Müll der Stadt, bevor sie das Messer an ihrer Kehle fühlen.

Kabul ist verkrüppelt. Minenopfer, deformierte Kinder betteln auf der Straße in den Abgasen der Autos. Ohne Arme, Beine, Augen. Manchmal ohne Arme und Beine, die verdreckte Dose für das Geld mit dem Mund haltend. Oft sind die Kinder in Banden organisiert. Wer das falsche Terrain zum Betteln betritt, der spürt unmittelbar die Faust im Gesicht.

Kabul ist groß. Doppelt so groß wie Berlin ist dieser Moloch. Fast vier Millionen Menschen leben, hausen, verelenden hier. Auffanglager für Flüchtlinge, Heimatlose und Vertriebene – und doch kein Zuhause. Nomaden treiben ihre Kamele schnell durch die Stadt. Man sieht es ihnen an: Kein Platz zum Bleiben.

Kabul ist Gewalt. Schießereien, Morde, Blutrache. Tagesordnung. Schon die Kinder üben sich auf den Straßen im Kampf und erheben die Fäuste gegeneinander. Schusswunden und Blut. Improvisierte Verbände. Schock und Tod.

Kabul ist Burka. Blaue Säcke verdecken das Antlitz der Frauen. Billige Polyester-Ganzkörperschleier aus China importiert. Unverwechselbar der Geruch bei Hitze aus Schweiß und Plastik. Oft können sich vor allem die Witwen keine anderen Kleider leisten. Die Burka verdeckt das Elend – die Armut.

Kabul ist Märtyrer. Dumpfe Explosionen erschüttern die Stadt. Damit einher geht die Gewissheit, dass es wieder einen Märtyrer mehr im Himmel gibt. Was mit den Zivilisten geschieht, interessiert keine Seele.

Kabul ist Massud. Überall prangen Bilder des Warlords und ehemaligen Kommandeurs der Nordallianz. Für viele ist er ein Held. Und doch beging er wie andere Kriegsverbrechen. Bei einem Interview mit falschen Journalisten sprengten sich diese in die Luft und rissen ihn mit in den Tod. Ich traf seinen besten Freund, der bei dem Attentat in seiner Nähe stand. Sein Glasauge blickt etwas verdreht in eine andere Richtung. Seine Tränen waren echt.

Kabul ist Gastfreundschaft. Einladungen zum Tee und Essen sind an der Tagesordnung. Die Menschen freuen sich über das Interesse an ihnen und ihrem Land.

Kabul ist schön. Der Garten des Babur, Lake Karghar und andere Plätze spiegeln ein anderes Gesicht von Kabul. Entspannte Menschen genießen ihre Freizeit am See, singen und tanzen, essen und feiern. Keine Spur von Krieg und Gewalt – so könnte Afghanistan aussehen, so sollte es aussehen.

Kabul ist bunt. Vor allem bei Nacht. Aufwendige Lichtinstallationen verwandeln Taimani in Klein-Las-Vegas. Die Wedding Halls sind ausgebucht. Laute Musik durchflutet die umliegenden Straßen. Die Heirat ist ein Event. Und doch nicht immer fröhlich: Auch 14-jährige Kindsfrauen heiraten – ob sie wollen oder nicht.

Kabul ist schizophren. Nach außen gottesfürchtig, gläubig und streng. Doch hinter der Fassade speisen die Moslems bisweilen selbst im Ramadan – Alkohol und Drogen lassen sie dabei nicht außen vor.

Kabul ist eine Insel. Drei militärische Sicherheitsringe umgeben die Stadt. Reinkommen ist trotzdem nicht schwer. Ein Eiland im Kriegsgebiet. Und doch sieht es hinter den militärischen Sperrzonen, im Outback, ganz anders aus. Für die Menschen in der Provinz ist Kabul ein Sündenpfuhl. Und irgendwie haben sie nicht unrecht damit, denn: Kabul ist nicht Afghanistan.


Max Henninger arbeitet seit gut einem Jahr für den Deutschen Entwicklungsdienst in der Öffentlichkeitsarbeit in Kabul. Über seine Erlebnisse berichtet er in seinem Blog und auf flickr.

Montag, 28. April 2008

Wien, Wien, nur du allein

Wien, (c) Mor (bcnbits), flickr
Foto: Mor (bcnbits), flickr

Jeder Mensch hat eine bestimmte Vorstellung von einer Stadt. Doch wie lebt es sich wirklich dort? Teil zwei der Serie Vita Urbana.

Ein Gastbeitrag von René Hartinger

Gestern ging ich durch die Stadt und durch den „Steirer Frühling“ am Rathausplatz – einem großen Markt mit allem, was die Steirer mit sich und ihrer Steiermark verbinden: Schilcher, Speckbrot, Bauernkrapfn, Kontrabass und Quetschn, Dirndlkleid und Mundartgs´ong.

Ich bin kein Steirer, aber da lag auch Holz, große Späne, frisch wie aus dem Sägewerk. Und da war - mitten am Rathausplatz - eine Almhütte aus dem Salzkammergut, darinnen Biertische und Ausschank, ganz wie daheim, denn das Salzkammergut - wenn auch der oberösterreichische Teil - ist auch meine Heimat. Und so erlebte ich etwas Seltsames, das viele vielleicht nicht erleben: einen Moment der Erinnerung an eine Heimat, mitten in der Stadt, die ich meine Heimat nenne.

Fährt man mit dem Zug hinein, verschluckt es einen; man fährt überland, dann durch Vororte und schließlich hinein in eine Welt aus Häuserschluchten und Straßenbahnschienen, Fußgängern und Innenhöfen, in eine quicklebendige Metropole im alten Stil, mit Parks und Bars, mit Künstlern und Bibliotheken, Märkten und Konzerten. Kein Gedanke daran, dass es eine rein räumliche Distanz wäre, die mich hier, in der Westbahnstraße stehend, vom Rest unseres Landes trennt. Nein – um hier wieder raus zu kommen, muss man schon in den Zug steigen, um mit ihm raus zu fahren, um den Bannkreis zu verlassen, auf dass einen dieses Wien wieder ausspuckt. Ja, man kann es sagen – Wien hat mich gekriegt. Wien ist meine Stadt, der Ort, an dem ich leben will.

Anfangs noch wusste ich nichts von dieser Stadt, ich ging studieren. In die größte Stadt, die Österreich zu bieten hat. Die lag da, im Osten, mit der Autobahn und mit dem Zug zwei Stunden. Aber dennoch weit weit weg. Irgendwann, ’s mag zwei Jahre her sein, als ich spazieren ging, da prägte sich mir erstmals das Bewusstsein ein, dass dieses Wien wirklich etwas Eigenes ist. Es ist ein vielfältiges Sammelsurium neuer Gedanken und Künste, freier junger Menschen, vereint den scheinbaren Widerspruch von Tradition und Glanz vergangener Zeiten mit Neuem in seinem einzigartigen Flair und Lebensgefühl.


Mehr über Wien in Renes Blog

Montag, 7. April 2008

Milano, mein Milano

Copyrights: Amodiovalerio Verde
Foto: Amodiovalerio Verde

Jeder Mensch hat eine bestimmte Vorstellung von einer Stadt. Doch wie lebt es sich wirklich dort? Zum Auftakt einer Serie eine Betrachtung über das Leben in Mailand.

Ein Gastbeitrag von Barbara Cunietti

Endlich bin ich wieder zu Hause. Abgetrennt von dieser entseelten Stadt. Geschützt, umarmt von geliebten Dingen, die mir gehören, weil mir in dieser Stadt nichts gehört, und ich gehöre ihr nicht. Die graustechende Luft schleicht sich in mich ein und ich fühle die Krankheit dieses Ortes.

Ein Ort der Verfremdung, wo die Kultur entfremdet wird, weil nur die Banken, die Firmen und die Mode etwas bedeuten. Das Aussehen beherrscht souverän den Geist der unzähligen Spießbürger - wenn man denn glaubt, dass sie einen Geist besitzen.

Ich frage mich, ob ich mich irgendwann in dieser Stadt eingliedern könnte. Aber ich fürchte diese Eingliederung. Ich will nicht, dass meine Gefühle durch den lockeren Takt und den unendlichen Lärm abgestumpft werden. Schon wundere ich mich, wenn ich rasant auf die Straße gehe und mich ärgere, wenn jemand meinen Schritt verlangsamt. Wohin renne ich? Es gibt keine Eile. In diesen Fällen fühle ich mich von dem Rhythmus des Lebens in Milano angesteckt.

Und der Lärm! Milano schweigt nie, sie schreit, klirrt, hupt, bellt, aber niemals kann man die Stille genießen. Die Stadt kann nicht schweigen, es gibt zu viele Leute hier und sie plaudern und plaudern und plaudern, immer mit dem Handy am Ohr, auch so früh am Vormittag. Dann möchte ich verschwinden und auf einen Berg fliehen - oder diese Leute erschlagen.

Dieser Wirrwarr widert mich an und plötzlich verstehe ich, wohin ich laufe. Ich will so bald wie möglich meinen Ort der Linderung erreichen: Meine geliebte Universität. Dort finde ich Menschen - nicht leere Behälter. Menschen, die notwendig für mich sind. Weil es ohne Freunde unmöglich ist, Milano zu überleben.

Daran denkend betrachte ich die Dämmerung aus dem Fenster. Ein Schachbrett von Dächern und vergilbte Autos, die ordentlich in Reihen wie Soldaten geparkt sind und nur darauf warten, am nächsten Tag in die Staus zu rutschen.

Die barmherzige Nacht wickelt die Stadt ein, Ruhe schenkend. Der geschändete Himmel nimmt Abschied von seinen Henkern. Bis zum nächsten Tag. Ein verzaubertes Tuch verwandelt die Stadt, die mit der Nacht bekleidet, ihr schöneres Antlitz für eine ungenügende Handvoll an Stunden offenbart.


Barbara Cunietti studiert Germanistik in Mailand.


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Danke
Vielen Dank für diese Sätze: "Es sollte eine sehr gute...
Johanna (Gast) - 2013-12-05 10:34
Gut analysiert. Nur bei...
Gut analysiert. Nur bei der politischen Ausrichtung...
7an - 2013-10-10 15:08
Kein Interesse
Nur eine kurze Anmerkung. Journalisten denken von ihrem...
Otto Hildebrandt (Gast) - 2013-10-10 14:08

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