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Was ist Jugendkultur?

In Folge ein Auszug aus meiner Diplomarbeit über das Jugend-Feuilleton im Internet.

Der Begriff „Jugendkultur“ wurde von Gustav Wyneken (1875-1964) geprägt. Der deutsche Pädagoge war maßgeblicher Begründer der deutschen Landschulheimbewegung und gründete gemeinsam mit Paul Geheeb 1906 die „Freie Schulgemeinde Wickersdorf“, eine alternative Schule. Bekannt ist Wyneken auch als freier Schriftsteller für Jugendbildung. Wyneken spielte damals den Begriff „Jugendkultur“ gegen die „Alterskultur“ der bürgerlich-wilhelminischen Lebensweise aus. Da der Pädagoge aber der Auffassung war, dass sich „Jugend [..] nicht in der bürgerlichen Familie entfalten [kann]“, sah er die Schule – nach Beispiel von Wickersdorf – als Freistätte, wo Jugend Jugend werden könne.

Hundert Jahre später ist gerade die Schule nicht der Ort, an dem Jugendliche sich orientieren, wenn sie ihr kulturelles Selbstbild errichten und erweitern. Jugendkultur definiert sich durch Musik, Mode, Konsum, alternative Lebensformen und neuen sozialen Treffpunkten (gerade bei diesen gewinnt das Internet eine ganz entscheidende Rolle). Die Medien sind dabei die primäre vermittelnde Instanz (vgl. Baacke 1993: 124 ff.). Jugendkulturen „stellen eine Gegen-Bewegung sowohl gegen die Vergesellschaftung von Lebensläufen dar als auch, gleichzeitig und gegenläufig, gegen eine zu starke Individualisierung“ (Baacke 1993: 210).

Interessant sind betreffend der Jugendkultur noch die Gedanken, die Gerd Hurm in seinem Essay „Neue Grenzen? – Die affirmative Rebellion der Gründerväter der Beat- und Pop-Jugendkultur“ entwickelt. Hurm erklärt, dass Popmusik die Jugendkulturen der Welt vereine – früher im Kampf gegen das Establishment, heute vereinnahmt im Konsum für das Establishment – und verweist darauf, dass der in den fünfziger und sechziger Jahren in den USA entstandene Pop seine Wurzeln in den Werken der Beat-Dichter, allen voran Allen Ginsberg hat. Viele Größen wie Bob Dylan, Patti Smith oder Lohn Lennon hätten sich direkt oder indirekt auf die Beat-Literaten bezogen. Interessant ist nun, dass laut Hurm Ginsberg wiederholt darauf hingewiesen habe, „dass der Protest der Beats“ – so auch Ginsbergs epochales Gedicht „The Howl“ – „keine Negation des Bestehenden sei, sondern die Affirmation höherer, älterer Werte der Gemeinschaft“ (vgl. Hurm 2005: 191 ff.). Damit bleibt für die Jugendkulturen generell die Frage übrig, ob sie nicht immer nur – wenn sie denn überhaupt so viel bewegen wollen – eine Verbesserung des bestehenden Systems anstreben und sich nicht in jeglicher Hinsicht gegen dieses auflehnen möchten. Jugendkultur ließe sich nach diesem Gedanken so definieren, dass es in ihrer Natur liegt, die Gesellschaft, durch eine „kind of spiritual infusion“ (eine Art geistiger Infusion) (Hurm 2005: 197), wie es schon der amerikanische Dichter Walt Whitman im 19. Jahrhundert nannte, zu erneuern. Die Jugendkultur mit ihren Akteuren ist dabei allerdings nicht – wie bereits im Kapitel „Definition der Jugend – eine Unschärferelation“ – erwähnt, auf ein adoleszentes Alter begrenzt. Dieter Baacke schreibt dazu:

„Tendenziell verliert ‚Jugendkultur’ ihr im Bestimmungswort liegendes Ansinnen, an eine bestimmte Lebensphase (Jugend) gebunden zu sein, wird vielmehr Ausdruck eines Lebensgefühls von Schnelligkeit, Plötzlichkeit und Intensität, das prinzipiell allen Altersgruppen zugänglich ist und sich in der Überbeanspruchung abnutzt.“ (Baacke 1993: 131)

Die Massenmedien würden dieses laut Baacke unterstützen, indem sie nicht nur zur Internationalisierung sondern auch zur (zumindest teilweisen) Konstitution der Jugendkulturen beitragen.

Literatur:
-Baacke, Dieter (1993): Jugend und Jugendkulturen. 2., überarbeitete Auflage. Weinheim: Juventa.
- Hurm, Gerd (2005): Neue Grenzen? – Die affirmative Rebellion der Gründerväter der Beat- und Pop-Jugendkultur. In: Coolhunters. Jugendkulturen zwischen Medien und Markt. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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