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Donnerstag, 15. November 2012

In den 90ern stecken geblieben - Über den Niedergang der Frankfurter Rundschau

Der Niedergang der Frankfurter Rundschau liegt nicht im Internet, sondern in der Zeit davor begründet – und hängt auch damit zusammen, dass Reporter mit Ambitionen im Haus keine Perspektiven sahen.

Als ich 2007 bei der FR als freier Online-Redakteur anfing, arbeiteten sechs Onliner dort. Mit mir begannen noch rund ein halbes Dutzend Freiberufler. Ein Jahr zuvor hatte DuMont übernommen und baute nun aus – wenn auch ohne Festanstellungen. Später folgen Relaunch und preisgekrönte iPad-App. Man kann DuMont also vieles vorwerfen, aber nicht, vor dem digitalen Umbruch kapituliert zu haben. Der Verlag hätte mehr ins Netz investieren müssen, aber bei den Millionenverlusten sagt sich das leicht. Das Internet ist jedenfalls nicht die Ursache für den Niedergang der FR. Das Netz und der Anzeigenrückgang haben die Situation nur drastisch verschärft.

Publizistisch in der Bonner Republik geblieben

Spätestens als die Chefredakteure Hans-Helmut Kohl und Jochen Siemens (2000 bis 2002) mit einer Mittagsausgabe der Frankfurter Rundschau Millionen verbrannten, wurde deutlich, dass sich die Zeit des einst großen linksliberalen Blattes dem Ende zuneigt. Die FR sparte erstmals und besetzte Stellen nicht neu. Die Redaktion bemängelte schon damals in einem Brandbrief "das völlige Fehlen eines verlegerischen und publizistischen Konzepts zur Überwindung dieser für die FR lebensbedrohenden Krise." Andere Zeitungen konnten sich derzeit vor Anzeigen nicht retten. Es war die Hochphase vor dem Knall.

Doch die Probleme der FR gehen bis in die 90er Jahre zurück. Ein Kenner des Hauses sagte zu mir für meine Recherche zu Kurz-Portraits über die bisherigen FR-Chefredakteure: "Wenn Roderich Reifenrath [Chefredakteur von 1992 bis 2000] Mitte der 90er Jahre auf die Finanzen geachtet und die Kurve bekommen hätte, hätte man die FR damals schon auf höherem Niveau stabilisieren können." Doch Reifenrath lehnte jede Modernisierung ab.

Der Journalismus-Professor Michael Haller, der die FR vor Jahren strategisch beraten hat, sagte gegenüber dem Hessischen Rundfunk: "Die Frankfurter Rundschau hat den gesellschaftlichen Wandel der späten 90er Jahre hin zu einer zivilgesellschaftlichen, nicht mehr so auf Institutionen fixierten Gesellschaft nicht mitgemacht." Dadurch habe sie bereits damals stark an Auflage und Reichweite verloren. Andere sagen, die FR habe in der Berliner Republik nicht mehr ihren Platz gefunden.

Edelfedern nicht erwünscht und keine Mentoren für Nachwuchs

Hinzu kommt, dass die FR eine Entwicklung in der Branche verschlafen hat. Um sich von Online-Nachrichten abzuheben, setzen Tageszeitungen seit Jahren immer weniger auf schlichte Berichte, sondern mehr auf Storytelling und nähern sich Wochenzeitungen an. Die Reporterin und Theodor-Wolff-Preis-Trägerin Sabine Riedel, die früher bei der FR gearbeitet hat, erzählte mit im vergangenen Jahr auf einer Lesung allerdings, schon in den 90ern hätte sie gesagt bekommen, dass bei der Rundschau keine Edelfedern gebraucht würden. Seitdem hat sich wenig geändert.

In der Tat haben viele große Journalisten bei der FR angefangen, sind dort aber nicht geblieben, darunter beispielsweise Peter-Matthias Gaede (GEO-Chefredakteur) und Ullrich Fichtner (Spiegel-Reporter). Als ich 2007 ins Haus kam fand ich zwar eine sehr herzliche und kollegiale Stimmung vor, merkte aber, dass es bei der FR keine journalistische Perspektive gab. Als Onliner schrieb ich zwar wenig fürs Blatt, bemühte mich aber darum. Ich vermisste einen Mentor, der die jungen Journalisten im Haus zur Seite nahm und förderte. Und die Kollegen, die es hätten machen können, waren aufgrund des Stellenabbaus zu ausgelastet. Die letzten Jahre verließen dann sogar überzeugte Rundschau-Leute wie Ina Hartwig (ehemals FR-Literaturchefin) und viele Lokalredakteure das Haus. Ich selbst entschied mich 2009 gegen eine Festanstellung und für eine Journalistenschule, zwei Jahre drauf stieg ich ganz aus. Jeder ahnte, dass es mit der FR kein gutes Ende nehmen würde.


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Johanna (Gast) - 2013-12-05 10:34
Gut analysiert. Nur bei...
Gut analysiert. Nur bei der politischen Ausrichtung...
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Otto Hildebrandt (Gast) - 2013-10-10 14:08

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